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Brief vom 19. Februar 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1304.


[327]
Paris den 19 Februari 1722 (N. 68).
Hertzallerliebe Louise, heütte will ich mein schreiben bey Eüch ahnfangen, umb zu sehen, ob mir daß mehr glück bringen wirdt, Eüch lenger zu entreteniren konnen undt regullirter zu andtwortten. Den vergangenen sontag habe ich zwey von Ewern lieben schreiben auff einmahl bekommen, nehmblich daß vom 31 Jan[uari] undt 3 dießes monts, no 9 undt no 10. Ich schreibe Eüch heütte, liebe Louise, mitt rechtem schweren undt betrübten hertzen, erstlich weillen ich nicht zweyffle, daß Ihr jetzt von hertzen betrübt sein werdet undt Ewere niepce auch über den verlust von mylord Holdernesse[1]. Ich wuste [328] es schon sambstag, hab Eüch aber nichts davon gesagt, den es war mir bang, daß Ihr dieße böße zeittung noch nicht wißen möchtet undt durch mich erfahren, undt ich mag gar nicht gern boße zeyttungen geben. Vorgestern habe ich ahn Ewer arme niepce geschrieben, welche mich woll in grundt der seelen jammert; solle ohntrostbar sein. Zu verliehren, waß man von hertzen lieb hatt, ist daß groste unglück von der welt; den daß kan weder geholffen, noch ersetzt werden. Ich habe ihr geschrieben, daß, wie sie nun nichts mehr vor ihren lieben man thun kan, alß sorg vor seine kinder zu haben, daß sie woll mögen erzogen werden, so müste sie sich vor die arme kinder conserviren undt sich zu übermaßiger[2] trawerigkeit nicht selber umbs leben bringen, sondern sich in den willen gottes ergeben, von dem sie allein trost bekomen könne. Ich bitte Eüch, liebe Louise, sagt ahn Ewere niepce, die gräffin von Degenfelt, daß ich sie sehr beklage undt part in ihrer betrübtnuß nehme! Man hort undt sicht in allen ortten nichts, alß betrübte sachen. Gestern ist die arme fürstin Ragotzi[3] hir gestorben, jammert mich von [herzen]. Es ist noch kein 8 tag, daß sie bey mir geweßen. Es ist eine wunderlich avanture, so die arme fürstin umb leben gebracht hatt. Sie hatte zahn-wehe, ließ sich den zahn außreißen, wolte sich einen andern nein setzen laßen; der ihr aber den zahn außgezogen, muß nicht gar geschickt gewest sein, den er hatt ihr daß zahnfleisch so verletzt, daß ihr in 24 stunden ein groß geschwehr in der wundt gezogen. Man hatt ihr 3 mahl zur ader gelaßen, 2 mahl ahm arm undt ein mahl ahm fuß. Gestern abendt gegen 7, alß man ihr ahm fuß gelaßen, sagte sie, sie befünde sich beßer; aber ein augenblick hernach ist [sie] auff einen stutz verschieden. Daß geschwer sie sich[4] herunnder von dem backen in den halß gezogen, hatt sie auff einmahl erstickt; jammert mich von hertzen. Waß mich auch sehr jammert, ist ein freüllen von Landenberg, so sie bey sich hatte undt ihr die fürstin von Homburg gelehnt, umb die reiße mitt ihr zu thun, ein fein, modest mensch; ist sehr zu beklagen. Ihre fürstin hatt mir sie mitt einem edelman, den sie hatt, recommandiren laßen. Aber ich kan leyder gar [329] nichts vor ihnen thun, den ich habe keine hofffreüllen mehr undt mein hauß ist gantz regullirt; alles muß gekaufft werden, waß in meinen dinsten, kan also niemandts ahnnehmen undt derowegen dießen armen leütten in nichts helffen, welches mir sehr leydt ist. Gestern war ein unglücklicher tag; wie ich in der capel war, würde ein[e]r von meinen haußhoffmeistern vom schlag getroffen. Man hatt ihn gleich zur ader gelaßen undt emetique geben, [ist] also wider zu sich selber kommen, aber doch eine gutte stundt von sich selber geweßen. Gestern bin ich zu unßer hertzogin von Hannover gefahren, umb ihr daß leydt zu klagen über die hertzogin von Zel[5], so den 4 gestorben sein solle. Wolte gott, es were vor 60 jahren geschehen! Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich auff Ewere liebe schreiben komme, werden[6] bey dem frischten ahnfangen, so, wie schon gesagt, liebe Louise, vom 3 dießes monts, no 10, ist. Wie Ihr im ahnfang dießes brieff ersehen habt, so fengt man jetzt auch ahn, mir Ewere schreiben 2 undt 2 auff einmahl zu schicken. Es ist in allen posten ein unordenung, daß es eine schandt ist. Daß thut der wüste interesse, alles verdirbt sich dadurch undt es macht mich offt so ungedultig, daß ich drüber stampffen mögt. Hir haben wir auch gar samfft wetter, die nachten seindt warm, daß man schwitzen mögte. Ich halte diß wetter gar nicht vor gesundt, ich bin aber nun, gott lob, gar woll. Warumb macht Ihr die façon, zu sagen, daß Ihr ohne vergleichung auch wider beßer sein? Den man kan von unß beyden daß dicton sagen: Qui fit l’un, fit lauttre[7], also nicht so viel façon zu machen. Bin fro, daß Ihr, liebe Louise, wider beßer; ich fürcht aber, das die betrübtnuß von mylord Holdernesse todt Eüch wirdt haben weinen machen, undt daß deücht gar nichts vor den husten undt schnupen, zicht es baldt wider herbey. Aber nun muß ich meine pausse machen.
Ich habe woll gethan, daß ich heütte morgen habe ahngefangen, zu schreiben; den dießen nachmittags hette ichs nicht thun konnen, bin zu [330] sehr, umb auff gutt Pfaltzisch zu sagen, geheytt[8] worden. Man hatt mir einen brieff bracht, den ich gleich habe beantwortten müßen wegen der printzes Ragotzi begrebnuß. Man hatt mir etwaß so gar wunderliches von der printzessin Ragotzi verzehlt, daß ich Eüch doch sagen muß, liebe Louise! Sie hatt gesagt, sie wüste woll, daß sie sterben [müße]. Alß man sie gefragt, warumb sie daß so fest glaube, hatt sie geantwort, daß, wie sie noch in War[s]chau war, hatt sie einen traum gehabt, daß ein man zu ihr kommen were mitt einem becher in der [hand]; der hette gesagt: Trinkt! den diß ist der letzte drunck, den Ihr Ewer leben thun werdt. Wie sie krank worden, hatt man Helvetius[9] hollen laßen, ein gar berümbter docktor. Wie sie ihn gesehen, ist sie erschrocken, hatt sein gesicht gleich wider gekent, so sie im traum gesehen hatt, darauff gleich geschloßen, daß sie sterben müste, wie auch geschehen ist; etwaß gar wunderliches. Dießen nachmittag, liebe Louisse, habe ich Ewer liebes schreiben vom 7 dießes monts zu recht entpfangen, no 11. Aber hirauff werde ich heütte nicht andtwortten, sondern nur daß außschreiben, so ich heütte morgen ahngefangen habe. Mich wundert, auß Ewerm letzten schreiben gesehen zu haben, daß Ihr Ewer unglück noch nicht gewust habt. Aber last unß von waß anderst reden! Es ist nur gar zu wahr, daß man nicht lang gesundt bleibt, wen man alt ist; man muß eher krachen, ehe man bricht. Zu allem glück hatt unßer krachen kein consequentz eines vor daß ander. Aber ich wolte mir keine große gesundtheit wünschen, liebe Louise, wen es gegen der Ewerige were; daß kan ich woll mitt warheit sagen. Trewe freündt undt verwandten zu verliehren, seindt unersetzliche unglück, so ich vor schlimer halte, alß den todt selber. Met verloff, met [verloff], so leügt Ihr, liebe Louise, wen Ihr sagt, daß kein han nach Eüch kräen würde; den Ihr wist gar woll, liebe Louise, daß ich undt Ewer neveux undt niepcen Eüch von hertzen [lieb haben]. Waß Ihr da sagt, ist nur eine coquetterey, umb Eüch zu sagen, daß wir Eüch lieb haben; hette ich woll gethan, hette ich nicht drauff andtwortten sollen, [331] umb Eüch von solchen discoursen zu corigiren. Der einfaltige bürgersohn, so so einen abscheülichen todt gehabt, weillen er zu sauber war, undt daß ist rar. Ich gestehe, ich hette es nicht gemacht, wie er, hette mich hübsch in den der mitten[10] von der cammer gesetzt. Die magt solte gestrafft werden, die ihm den nachtstuhl nicht geben, da sie woll wüste, daß er purgirt hatte undt artzeney eingenohmen. Ich habe eine schönne relation, die hatte ich willens zu schicken; aber ich fürchte, es wirdt Eüch zu viel kosten undt ein gar zu groß paquet. Jedoch so verwahr ich es, undt wofern Ihr curieusser seydt, alß willens, Ewern beüttel zu sparen, so könt Ihrs mir nur zu wißen thun, so werde ichs Eüch schicken. Ich schicke Eüch hirbey ein klein brieffgen von madame Dangeau ahn ihre fraw schwester, die fürstin von Ussingen; sie bericht ihr den todt von der fürstin Ragotzi. Mich wundert, da Eüch die fraw generallin von Leütherom[11] Eüch so gern gesehen, daß sie Eüch nicht zu ihrer kindtbett undt kindttauff gebetten hatt. Gestern habe ich zwey schreiben von den 2 hertzogen von Württenberg bekommen, die bitten mich zu gevatter zu ein[e]r vollgestalten[12] printzessin, so ihnen gebohren, haben ihr aber meinen nahmen nicht geben, heißen sie Louisse Friderica[13], sagen mir auch nicht, wer mitt mir gefatter ist; daß nimbt mich recht wunder. Da kompt junker Wendt herein, will, daß ich zu nacht eßen solle, muß also sch[l]ießen; mein brieff ist doch zimblich raisonable taille. Biß sambstag werde ich Eüch auff neü versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. Februar 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 327–331
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1304.html
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