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Brief vom 11. Juni 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1334.


[409]
St Clou, donnerstag, den 11 Juni 1722, umb ein viertel auff 7en (N. 2).
Hertzallerliebe Louise, ich habe noch anderthalb stundt, ehe ich mich ahnziehen werde, umb in die kirch zu gehen. Daß werde ich ahnwenden, umb Eüch zu entreteniren undt auff Ewer liebes schreiben von 28 May, no 39, [zu antworten]. Ich habe Eüch schon vergangenen sambstag, ehe ich nach Paris bin, bericht, wie daß ich Ewer liebes schreiben vom 23 May, no 38, zugleich entpfangen. Seyder dem habe ich keines von Eüch bekommen, es mogte aber woll dießen nachmittag gescheh[e]n. Kompt es, werde ich Eüch berichten, die andtwort aber auff übermorgen versparen undt heütte nur mein bestes thun, auff Ewer zwey schreiben, so mir noch überig undt wo ich alleweill von gesprochen, zu andtwortten. Ich fürchte aber, im schreiben zu vergeßen, waß ich nohtwendig zu sagen habe, [will] derowegen dabey ahnfangen: Gestern kame der kleine pfaltzische secretarius Grävenbruch zu mir undt [410] sagte, daß deß graff Degenfe[l]ts sach zu Manheim glücklich zu endt gangen, daß er sich mitt sein gegenpart verglichen undt Churpfaltz ihm alle lehen geben, so er begehrt, ja gar von den manlichen lehen kunckel-lehen gemacht. Ich bitte Eüch, liebe Louise, bericht mich doch, ob dießes sich also verhelt! Den wo es war ist, werde ich eine dancksagung davor ahn Churpfaltz schreiben. Es were doch viel, wen der herr graff von Degenfelt deß Sickingers[1] loß were undt nichts mehr mitt ihm zu thun hette; den er solle ein gar interessirter cavallier sein. Ich [komme] auch jetzt wider auff Ewer schreiben, liebe Louise! Meiner gesundtheit kan ich mich noch nicht sehr berühmen, bin alt, matt undt schwach, undt ob ich zwar ohne fieber bin, so habe ich doch allezeit eine gutte undt boßen nacht undt tag. Der gesterige war mein boßer tag undt dieße nacht ist meine boße nacht geweßen, habe keine zwey stundt ahn einander geschlaffen, vapeurs, krampff, allerhandt dergleichen incomoditetten gehabt. Die gutte nachte aber schlaff ich woll undt bin den gantzen tag ruhiger. Der apetit geht aber noch gar schlegt, ich werde auch alle tag magerer. Waß auß dießem allem werden wirdt, sal den tiedt lehren, wie unßere liebe s. churfürstin alß pflegt zu sagen; ich bin gar nicht in sorgen drüber, werde mitt gedult erwartten, waß gott schicken wirdt. Man spricht mir von kein[e]r artzeney, glaube, daß sie nun wolten, mir keine aderlaß, noch purgation gegeben zu haben. Aber es ist geschehen, sie haben die verfluchten maniren hir mitt ihrem remede de precaution undt daß deücht nichts in der welt. Ich wuste es woll, den es ist mir [nie] woll bekommen, aber auß forcht, geplagt zu werden, thue ich alles, waß man will. Hir wollen sie die gutte raison, so Ihr sagt, nicht begreiffen; wen man nur waß brau[c]ht, es mag gehen, wie es will, so ist alles gutt. Wen ich meine gutte ursachen gegen die remede de precaution sage, andt[wortet man]: Vous aves toutte vostre vie hay les remedes, mais quand on vie[i]llit, il en faut faire; on previent plus tost les meaux, qu’on ne les guerit. Vous ne pouves plus faire de l’exercisse, comme quand vous esties jeune; il faut donc vous saigner et purger pour vous oster les mauvaises humeur[s] qui vous peuvent rendre malade[2]. Ich sage, daß artzeneyen die [411] natur schwachen undt mich mehr, alß ein anderst, indem ich nicht dazu gewohnt bin worden; da antwort man mir: Vous n’en avies pas besoin et dissipies … par vostre violent exercisse, mais vous n’en pouves plus faire ny a pied ny a cheval. Wen man mich den so plagt, so sage ich: He bien, faittes ce que vous voudres, et qu’il n’en soit plus parles! En ar[r]ivera ce qui pour[r]a! So ist es dießmahl auch gangen, hatt aber bludts-übel außgeschlagen, ob es zwar übermorgen schon 6 Wochen sein wirdt, daß ich zur ader gelaßen undt donnerstag, alß heütte, 5 wochen, daß ich purgirt. Unßere liebe churfürstin s. hatt die verblendung haben müßen, gegen ihre gesundtheit zu thun, umb die stundt zu erreichen, in welcher sie gott zu sich genohm[e]n hatt, den sonsten were sich[3] weitter kommen. Aber daß hatt alles so sein müßen undt in allem ist verhengnuß. Der churfürst, ihr herr sohn, hatt ja müßen könig in Englandt werden, welches nicht geschehen were, wen unßere s. churfürstin die konigin Anne überlebt hette. Also ist alles ahn einander verhengt, undt wen mans woll examinirt, findt man, daß nichts ungefehr geschicht, sondern alles von dem allmächtigen reglirt ist. Mein temperament ist nicht schlim, man hatt mirs aber schon sehr verdorben hir im landt. Aber da schlegt es 8 uhr, ich muß mich ahnziehen, umb halb 10 in kirch zu gehen. Habe ich nach der kirch noch zeit, herzukomen undt zu schreiben, werde ich Eüch, liebe Louise, lenger entreteniren, nun aber muß ich meine pausse machen.
Donnerstag umb 11 uhren morgendts.
Ich habe noch ein stündtgen zeit, ehe wir ahn taffel gehen; daß will ich noch employiren, Eüch zu entreteniren. Wen ich nur nicht verhindernüße bekomme!
Waß ich gefürcht, ist mir eben geschehen; den es seindt mir heütte morgen gar viel verhindernüßen zugestoßen undt gleich nach dem eßen bin ich entschlaffen, werde jetzt erst wacker, daß es schon über 2 uhren ist. Ich hoffe nun, daß mich der schlaff mitt ruhen laßen wirdt. Es ist woll kein wunder, daß ich schläfferig bin; ich habe keine 2 stundt dieße nacht geschlaffen, der kopff ist mir gantz daußellich[4] davon. Aber in dießem augenblick werde ich, [412] liebe Louise, mitt Ewer liebes schreiben vom 30 May erfrewet, no 40, werde es vor sambstag sparen, komme aber nun, wo ich geblieben war, nehmblich ahn unßere liebe s. churfürstin. Ich kan nicht ahn E.[5] L. [denken], noch von ihr reden ohne seüfftzen undt daß mir daß hertz gantz schwer wirdt. Dießer todt undt unßer s. könig seiner haben mir mein gantzes leben verleydt undt alle lust benohmen, habe seyder dem kein augenblick mehr freüde, noch vergnügen gehabt, daß kan ich woll mitt warheit sagen. Daß hatt sein boßes, aber auch waß guttes, den es sundert einem gantz undt gar von dießer welt ab undt macht daß sterben leicht. Ich gestehe, daß es mir recht bang vor der printzes von Wallis 2 printzessinen gew[e]ßen. Gott seye danck, daß es so woll abgeloffen ist! Ich bin nicht so courageux wie I. L. die printzes von Wallis undt gestehe, daß, wen ich meine kinder frisch undt gesundt vor mir sehe, konte ich mich ohnmoglich resolviren, sie kranck zu machen, ob es gleich zu ihrem besten were. Wie ich die blattern gehabt, war ich so erschrecklich übel, daß, wen meine schmertzen noch ein halb stundt gewehrt hetten, hette ich vor puren schmertzen sterben müßen. Mitt dem inocculiren solle es aber einen gantz andern bewandtnuß haben, den die schmertzen sollen nicht allein bey weittem nicht so starck sein, sond[e]rn auch gar nicht dawern undt die kinderblattern sollen auch ihr gantzes leben nicht wieder kommen. Daß, glaube ich, hatt die printzes dazu resolviren machen. Gott gebe, daß es sich so finden mag undt daß die lieben printzesger vor allezeit von dießer abscheülichen kranckheit mogen befreyet bleib[e]n! Den jüngste[n] printzen findt man noch zu klein, umb ihn zu inocculliren, aber man hatt printz Friderich die wahl geben, ob er es thun will oder nicht. Ich weiß noch nicht, waß drauß werden will; man will es erst ahn andere kinder undt jungen leütten zu Hannover propiren, umb zu sehen, ob die hannoverische lufft sich auch dazu schickt, undt daß ist gar woll gethan in meinem sin. Mein dochter[6] helt diß remedium nicht vor sicher, sagt, er begreiffe es nicht. Aber, unter unß gerett, die docktoren seindt hirauff nicht zu glauben, den waß nicht auff ihren schlag außgeht, daß aprobiren sie nie, meinen alß, es gehe ihnen waß dran ab. Ich bin versichert, daß, die sich ahm besten in Ewer assamblée [413] divertirt haben, war die cammer mitt der junge bursch[7]; den in denen jahren ist es just die zeit, wo man sich ahm lustigsten macht. Ist der keyßerliche oberster so groß, alß der herr Benterritter[8], welchen Ihr woll in Englandt werdt gesehen haben? Dießer oberste muß den ein rechter rieß sein. Ihr sagt nicht, liebe Louise, ob er kinder mitt seiner … Man hatt etlich mahl exempel, daß von rießen zwergen kommen undt von zwergen rießen, drumb frage ich es. Hir hatt man woll exempel, daß wetter einschlagen, aber ohne groß geraß undt donnerschläge. Ich fürchte den donner auch gantz undt gar nicht. Ihr werdet nun baldt die fürstin von Ussingen verliehren, den madame Dangeau hatt schon abschidt von mir genohmen, umb zu ihre herren brüder zu reißen, auff welchen rendevous die fürstin von Ussingen woll nicht außbleiben wirdt. Es ist von nöhten, daß wider waß artiges in dem hauß kompt; den der fürst, deß gutten, ehrlichen graff Wallraht[9] sohn, so man hernach den fürsten von Ussingen geheißen[10], ist ein unahngenehm kindt. Ist sein herr sohn[11] artlich, muß er gewiß dem groß herr vatter nachschlagen undt den herr vatter überhupffen. Ich glaube nicht, daß man sein leben ein artiger, noch verständiger kindtgen gesehen hatt, alß unßere kleine infantin. Ich habe diß kindtgen recht lieb, es hatt mich auch lieb. Unßer könig ist gar ein schönner, ahngenehmer herr, aber zu still. Wen er die leütte nicht gar woll kendt, kan man kein wordt auß ihm ziehen, aber ich habe ihn ahn mir gewohnt, mitt mir lacht er undt spricht. Last den jüdischen papegay[12] nur fahren! Ich werde schon woll waß anderst vor mein infantgen finden. Ich hatte gemeint, liebe Louise, noch auff Ewer liebes schreiben von no 38 zu andtwortten, es ist mir aber ohnmoglich; den da schlegt es 6 undt umb 3 viertel auff 7 muß ich in die pfar-kirch undt ich wolte gern noch einen brieff schreiben ahn landtgraff Carl von Philipsthal, muß derowegen auffhören undt Eüch, liebe Louise, eine gutte nacht wünschen undt versichern, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 11. Juni 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 409–413
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1334.html
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