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Brief vom 19. November 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1373.


[480]
St Clou den 19 November 1722 (N. 4).
Hertzallerliebe Louise, vor wenig tagen bin ich mitt Ewer liebes schreiben vom 5 November, no 79, zu recht entpfangen[1]. Ich weiß nicht, ob meine brieff recht geschriffrirt sein, den ich bin in einer so erschr[e]cklichen mattigkeit, daß ich ahn nichts gedencken kan. Man hatt Eüch woll über übel bericht, liebe Louise, wie man Eüch bericht, daß ich in gutter gesundtheit bin herkommen; ich glaube, ich hatte Eüch doch schon bericht, daß man mich in 8 tagen 80 mahl purgirt hatt, welches [m]ich in einer solchen abscheülichen mattigkeit gesetzt, daß ich nicht weiß, ob sie mich wieder herauß werden zigen[2] können. Bißher seindt sie gar nicht glücklich in ihrer kunst vor mich geweßen, haben mich kranck gemacht, da ich in frischer gesundtheit war, undt waß sie mir hernach geben, umb mich wider gesundt zu machen, hatt in gar nichts reussirt. [481] Waß weitter drauß werden wirdt, werden wir sehen; ich ergebe mich in allem in den willen gottes, bitte nur, daß der allmachtige mir gedult verleyen möge, mein endt mitt gedult zu erwartten undt ein seeliges ent erwerben, amen! Das wünsche ich mehr, alß zu geneßen, ich bin deß lebens zu satt, liebe Louise! Doch will ich gott nichts vorschreiben, sondern mich in allem in den willen gottes ergeben. Aber hiemitt auch genung so ernstlich gesprochen! Ich komme wider auff Ewer liebes schreib[e]n. Ich weiß nicht, liebe Louise, warumb Ihr mir eine post habt abschneiden wollen. Daß war ja gar nicht nöhtig undt ich kan Eüch mitt warheit versichern, daß Ewere schreiben mir recht lieb undt ahngenehm. Ich war eben die gesundtste nicht zu Rheims, allein hatt[e] doch mehr kräfften dort, alß nun hir, wie leicht zu errahten ist; man hatt mir die seelle[3] auß purgirt. Ihr werdet, liebe Louise, durch die relation, so ich Eüch vom sacre geschickt, mehr erfahren, alß viel, so in der kirch wahren. Die ordre war admirable undt gar keine confussion; ich muß gestehen, ich habe mein leben nichts regullirters, magnifiquers noch schonners gesehen, es meritirt, gesehen zu werden. Mein dochter war außer sich selber vor freüden undt ihre kinder auch. Ich hette niemandts konnen placiren, den alles war regullirt undt auffgeschrieben. Man hatt mir doch meinen vetter, printz Carl von Heßen, in mein[e] loge geben, so eben apropo ahnkomen. Ich muß aber meine pausse machen, den man will, daß ich fruhe eßen solle.
Donnerstag, den 19 November, umb 4 nachmittags.
Ich hatte gehofft, gleich nach dem eßen wieder zu schreiben können, allein es seindt mir viel verhinternuße zugestoßen. Alß ich ahn taffel sitzen wollen, ist mein sohn zu mir kommen. Wie der weg ist undt ich von taffel kommen, ist madame la duchesse d’Orleans kommen. Wie die wieder weg, bin ich entschlaffen, habe ein gutt stündtgen geschlaffen, bin aber noch schwacher erwacht, alß ich entschlaffen bin. Ich weiß nicht, waß man mir heütte noch gegeben hatt, allein ich bin noch 5 mahl purgirt; daß matt mich so erschrecklich ab, daß ich glaub, daß man mir e[n]tlich die seel auß dem leib purgiren wirdt. Es muß sich baldt außweißen, waß [482] auß dießem allem werden wirdt, den es ist ohnmöglich, daß es lenger so dawe[r]n[4] kan. Gestern gestunden mir unßere docktor, sie hetten mein temperament nicht recht gekent undt nie kein exempel gesehen von ein so gar delicattes eingeweit hetten, alß[5] sie bey mir gefunden. Unterdeßen muß ich leyden, es ist gottes will, ich muß mich also drin ergeben undt erwartten, waß auß dießem allem werden wirdt. Ich bin, gott lob, nicht zu Paris, sondern zu St Clou; ich glaube, ich were schon todt, wen ich zu Paris hette bleiben müßen. Die ceremonien zu Rheims haben mich nicht fatiquiren können, den ich hatte nichts dabey zu thun, alß nur spectatrice zu sein, daß gibt keine mühe. Eine große mennge leütt habe ich zu Rheims gesehen, liebe Louise, daß ist war, aber zu allem glück war ich damahls noch nicht so matt undt ellendt, alß ich nun bin, hatt mir also nichts geschadt. Ich muß Eüch doch sagen, liebe Louise, welche eine närische reiß der graff von Sintzendorf[6] sohn zu Rheims gemacht. Er ist erstlich eine abscheülich figur, hinndten undt fornnen bucklich. Der ist nach Rheims kommen, umb die crönnung zu sehen; abendts aber versuchte er von dem Champagner wein undt drinckt sich so sternsvoll, daß er 2 mahl 24 stundt wie eine bestia ist liegen blieben, ohne eintzigen wißenschafft von sich selber zu haben; hatt also nichts von keiner einzigen ceremonie gesehen[7]. Meine dochter war recht beschambt vor ihn, weillen sie ihn pressentirt hatte; ich habe sie ein wenig mitt außgelacht, war gantz beschambt. Dießer graff von Sintzendorf, hatt er woll die cronung so schön gesehen von Rheims, alß der englische edelman die von der konigin Anne ihre. Hette ich ein wenig mehr krefften, alß ich habe, würde ich Eüch lenger entreteniren, liebe Louise, aber nun ist es mir [ohn]möglich, kan mitt mühe nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. November 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 480–482
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1373.html
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