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Brief vom 12. Juni 1690

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


98.


[119]
Versaille den 12. Juni 1690.
… Auff das zweyte schreiben hab ich ohnmöglich zu St. Clou antwortten können, weillen ich bey der begrebnuß von der armen mad. la dauphine[1] so erschrecklich 6 gantzer stunden geweinet hatte, daß ich 2 tag hernach nicht hab können auß den augen sehen, denn ich war schon von hertzen über mad. la dauphine verlust betrübt, denn ich habe I. L. recht lieb gehabt, aber über das noch, alß ich unßere wappen[2] überall auff dem sarck undt auff dem schwartzen tuch in der kirch gesehen, hatt es mich noch I. G. des Churfürsten, meines herrn vattern, meiner fraw mutter, meines brudern todt dermaßen erneuert, daß ich dachte, ich müste bersten vor weinen; ja alles was ich verlohren undt mir lieb war, ist mir dabey eingefahlen. Den gutten printz Carl seelig[3], ach Gott, welcher so offt mitt mad. la dauphine undt mich gelacht hatt, hab ich auch woll nicht vergeßen; dazu hatt der bischoff, so die leichpredigt gethan, auch die arme Königin in Spanien[4] citirt, welches mir denn dießen verlust auch wider erneüert … Mitwog nach dießer abscheülichen ceremonie seindt wir nach Marly [gereist], alwo wir biß Sambstag geblieben; dortten hette mir zwar woll die betrübniß vergehen sollen, denn es gar das ordinari leben war: alle kammern voll spieller, nachmittags die jagt, abendts die musiq, allein wenn ich ja die warheit bekennen soll, so hatt mich dießes viel traweriger gemacht, denn wie ich niemandes dorrten gefunden, so nach mir fragt, undt ich gesehen, wie baldt man hir die todten vergist, hatt mich die arme mad. la dauphine wider auffs neüe gejammert. … Ich habe woll gefurcht, daß, wenn E. L. wider [120] nach Hannover kommen würden, daß sie wider trawerig würden werden[5], denn alles waß einen ahn seinen verlust erinern kan, macht einem alles wider verneüern undt den schmertzen auffs neüe entpfinden, undt nichts erinert einen mehr, alß die örter, wo man die leütte, so einem lieb geweßen, ahm meisten gesehen. Wolt Gott, E. L. könten ein so harttes gemühte haben undt die ihrigen so wenig lieben alß wie der große mann[6], sein sohn undt sein bruder; denn sie betrüben sich umb nichts, es mag ihnen auch sterben wer da will; ja es ist zu verwundern, wie hart dieße leütte sein. Wenn sie es par force d’esprit theten, mögte man es ihnen vielleicht woll noch danck wißen undt sie admiriren, allein das ist es gar nicht, denn so lange sie das spectacle vor augen sehen, schreyen sie, undt sobaldt sie auß der kammer sein, lachen sie wider undt dencken hernach nimmer dran. Ich werde gantz ungedultig drüber, denn ich kan diß exempel gar nicht folgen, undt ob man es schon vor eine foiblesse helt, betrübt zu sein, so ist es doch auch ein zeichen von einem gutten gemühte … E. L. können ahn niemandes Dero schmertzen klagen, so solches nicht allein beßer begreiffen kan, alß ich, sondern auch, welche den lieben printzen s[eelig] mehr regrettirt, alß ich, denn ich hatte ihn so lieb alß wenn er mein leiblicher bruder geweßen were. … Ob ich zwar den printz Maxmillian nicht kene undt nie die ehre gehabt habe, I. L. zu sehen, so ist mir doch sein unglück sehr leydt geweßen, ist mir sehr lieb zu vernehmen, daß I. L. keine schmertzen mehr an Dero handt haben[7]. E. L. erfreüen mich recht, wenn sie mein gemühte mitt dem von I. L. der Churfürstin von Brandenburg vergleichen, denn erstlich so beweist mir dießes, daß E. L. noch eben dießelbe gnade vor mich haben, so sie zeit meines lebens gehabt haben, zum andern aber so ist mir dießes auch gar honnorabel, denn alle welt, so I. L. kennen, können sie nicht genugsam rühmen undt loben, wundert mich derowegen woll gar nicht, daß sie sich bey dem adel in Preussen so sehr beliebt gemacht hatt, denn wer sie nur sicht, admirirt sie undt stehen in zweiffel, waß sie mehr loben sollen, ihre schönheit undt bonne grace oder ihre generositet undt guttes gemüht. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 12. Juni 1690 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 119–120
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0098.html
Änderungsstand:
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