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Brief vom 22. Januar 1696

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


229.


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Versaille den 22. Januari 1696.
… Ich will E. L. eine historie verzehlen, so vor gar kurtzer zeit geschehen undt welche ich gestern morgendts von einem presidenten erfahren, so richter in der sache ist. Bey Blois wohnet eine dame, so 3 artige döchter hatte; ein junger edelman, so nahe in der nachbarschafft wohnte, wurde verliebt von der elsten, undt nachdem er lang amour gemacht, wurden sie so gutte freünde, daß sie ihm alles accordirte waß er von ihr begehrte. Sobaldt sie ihm die faveur gegeben, wurde er ihrer müde undt machte sich an ihre zweyte schwester, welche auch nicht cruel ware. Nach dießer wurde er verliebt von der jüngsten, aber so ernstlich verliebt, daß er sie heürahten wollte, undt forderte sie ahn die mutter, welche nicht wuste waß mitt den andern schwestern vorgangen war, consentirte in den heüraht, wolte aber zuvor ihre sachen all in richtigkeit bringen, reiste derowegen auffs landt undt nahm keine von ihren döchtern mitt, alß die brautt. Die andern zwey elsten schwestern kam eine greüliche jalousie ahn, wurden sehr trawerig undt vertraweten einander ihr unglück undt resolvirten, sich beyde gegen ihren untrewen liebhaber zu rechen. Sobaldt die mutter mitt der jüngsten dochter weg war, ließen sie ihren untrewen liebhaber ruffen. Wie er kam, sagten sie, sie hetten ihn hollen laßen, umb blindekuhe mitt ihm zu spillen undt sich lustig zu machen. Es war nachts. Nachdem sie eine weille mitt ihm gespilt undt er die blinde kuhe wardt, haben die zwey schwestern sich auff ihn mitt poignards geworffen undt haben ihn in ihrer eigenen cammer assassinirt undt hernach in den garten getragen undt da begraben. Andern tags miste man den jungen edelman undt seine leütte suchten ihn allendthalben. Ein [234] hundt, so in der jungfern hauß war undt welcher den edelman gekent hatte, hatte sich in den garten gesteckt undt kratzte auff das grab so lange, daß er den todten körper herfor geschart hatte. Eben wie man ins hauß kam, umb nachzufragen, ob der edelman nicht dort were, undt wie die zwey jungfern die kleyder nicht außgezogen hatten, wurde der todte cörper gleich gekendt undt die 2 jungfern in verhafft genohmen. Man hatt ihren proces von Bois[1] nach Paris referirt, alwo sie condemnirt sein worden, enthaubt zu werden, welches übermorgen geschen wirdt. Die mutter undt jüngste dochter jammern mich sehr. Die jalousie ist woll eine verfluchte passion …
Es muß ein fleißiger silberdinner in dem hauß gewest sein, wo unßer herr Christus das letzte abendtmahl gehalten, umb das taffeltuch so woll zu verwahren, daß man bey itzigen zeitten noch stücker davon hatt; oder hatt es vielleicht Judas gestollen, weill er doch ein dieb war, welches hernach, alß er sich erhenckt, bey den jüngern blieben undt also eine relique geworden? Denn sonsten kan ich nicht begreiffen, wie man es hette behalten können. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Januar 1696 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 233–234
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0229.html
Änderungsstand:
Tintenfass