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Brief vom 5. Dezember 1700

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


435.


[422]
Versaille den 5. December 1700.
… Ich muß E. L. jetzt auch den trawerigen Tag verzehlen, so wir gestern gehabt haben undt wie der abschidt mitt dem gutten undt lieben König in Spanien[1] abgeloffen. Gestern umb 9 frü faßte jederman in seiner kammer; umb 10 gingen wir alle mitt unßerm König zum König in Spanien undt von dar in die meß à la tribune. Ich weiß nicht, ob die musiq alle hertzen attandrirte, allein jederman kam das weinen ahn. Nach der meß ging man die große stiege hinab, so gantz voller leütte war, undt der hoff auch, die große princes de Conti undt mein sohn begleytten biß ahn die kutzsch, denn sie gingen nicht mitt nach Seau[2]. Ins Königs kutzsch waren wir 8 personen, die zwey König hatten die duchesse de Bourgogne zwischen sich; mons. le dauphin undt der duc de Bourgogne hatten den duc de Bery zwischen ihnen; Monsieur undt ich waren in den schlägen. Von hir biß nach Seau war der weg bordirt mitt leütten zu fuß, zu pferdt undt in kutzschen; der König hatte seine guarde, seine cheveaux legers et gendarmes, undt zu Seau waren die 2 compagnien des mousquetaires; die avenue von Seau ist sehr lang, lenger alß von hir nach Trianon, das war auff beyden seitten mitt 3 reyhen kutzschen besetzt, so sich dahin gestelt, den König in Spanien wegziehen zu sehen. Man meint, daß, ungezählt des Königs undt alles was den hoff folgt, kutzschen mehr alß 2000 zu Seau waren. Sobaldt man zu Seau (welches par parenthese nun ahm duc de Maine gehört, der es vom jungen Seignelay[3] gekaufft) abgestiegen, ging der König durch die enfilade in die letzte kammer mitt dem König in Spanien undt befahl, daß niemandt folgen solte; wir blieben alle mitt Msgr. undt seine zwey herrn söhne in ein salon; ein virtelstundt hernach ließ der König den ambassadeur von Spanien ruffen, der bliebe eine kurtze zeit drin; wie er wider herauß ging, rieff der König mons. le dauphin, blieb noch ein virtelstundt mitt ihm, hernach rieff der König den duc de Bourgogne, seine gemahlin, duc de Bery, Monsieur undt mich, undt wir nahmen da abschidt vom König in Spanien, undt seine herrn brüder weinten alle woll von hertzen. Wir blieben [423] so noch ein viertel stündtgen, hernach ließ der König die printzen undt princesse du sang hollen, so alle abschidt nahmen; alles weinte undt schrie; mons. le dauphin, der sonst gantz indifferent scheindt, war erschrecklich touchirt undt ambrassirte seinen sohn mitt solcher tendresse, daß ich noch weinen muß, wenn ich nur dran gedencke; ich dachte, vatter undt sohn würden vor leydt sterben; der gutte König ambrassirte mich auch so von hertzen, konte kein wort nicht reden vor weinen. Der König sagte endtlich: qu’on aille voir, si tout est prest; kurtz hernach rieff eine stimme: Sir, tout est prest. Tant pis sagte der König in Spanien; wir ambrassirten unß noch einmahl; der gutte duc de Bery weinte auch woll von hertzensgrundt; der duc de Bourgogne weinte schir nicht, die augen wurden ihm nur rott. Unßer König begleitete den König in Spanien biß zu ende des apartements. Man hörte undt sahe nichts alß schnüptücher undt augenwischen, männer, weiber, alles weinte bitterlich. Sobaldt der König in Spanien mitt seinen herrn brüdern weggefahren war, setzte sich mons. le dauphin in seine chaise undt fuhr nach Meudon, unßer König aber setzte sich in eine kleine calesche mitt der duchesse de Bourgogne, Monsieur undt ich undt wir fuhren spaziren undt besahen Seau, so ein über die maßen schönner garten ist. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. Dezember 1700 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 422–423
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0435.html
Änderungsstand:
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