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Brief vom 8. September 1701

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


467.


[014]
Versaille den 8. Septemb. 1701.
… Im zurückfahren stiege ich zu St. Germain ab, funde den armen König Jacob in eben einen so erbärmlichen standt, alß vergangenen Sontag; die Königin funde I. M. waß beßer, finge ein wenig ahn zu hoffen; ich funde ihn aber unerhört übel; er hatt zwar die stimme noch so starck wie ordinarie undt kent perfect woll, sagte, sobaldt er mich sahe, Madame, je vous remercie et vous suis bien obligé de tons vos soins, er sicht aber unerhört übel auß, sein bart ist wie ein capuciner. Vergangen Sontag, nachdem er alle seine sacramenten entpfangen, ließ er seine kinder hollen undt alle seine leütte kommen, gab den kindern den seegen undt predigte dem printz de Galle lang, wie auch allen seinen domestiquen; der printz de Galle war sehr touchirt, fiel dem König, seinem herrn vattern, umb den halß; man muste ihn mitt gewalt abreißen. Es war nichts erbärmlichers, alß dießen hoff zu sehen, haben mich woll von hertzen weinen machen; die gutte Königin ist in einem standt, der nicht zu beschreiben ist; ein stein mögte es erbarmen. … Wie ich auß E. L. gnädig schreiben sehe, so seindt sie wie ein perfecter philosophe, alle grandeur dießer welt so kaltsinig ahnzusehen. Mich deücht, der englischen Könige sort ist: nicht so lang alß [015] Methusalem zu leben, ich wünsche aber zu aller Engelländer undt meinem trost auch, daß E. L. so lang alß die duchesse de Lemnos[1] leben mögen, so im 177 jahr ein bein brach, wovon sie starb. In Engellandt seindt, wie ich sehe, die pfarrer edelleütte, weillen der E. L. gepredigt ein Sandis ist. Die predigten zu leßen hindert das jestücuiliren; wenn man in denen predigen einschläfft, kan man nicht wider wacker werden alß wie in den teütschen undt frantzöschen predigen, da die pfarer braff mitt der faust auff die cantzel schlagen. Die predigen zu leßen verhindert auch, daß die pfarer stecken bleiben, wie offt geschicht. Der hereaut darmes[2] wirdt ohne zweyffel nun schon bey E. L. ahnkommen undt die ceremonie vollendet sein. … Es ist gutt, daß unßere liebe Königin von Preussen von keinem jalousen humor ist, denn, wie man sagt, so soll I. M. der König die gräffin von Warttenberg[3] sehr lieb haben; thut woll, sich nur mitt sie zu divertiren. Die gräffin muß gar natürlich undt naif sein, alles so zu sagen, was ihr in kopff kompt. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 8. September 1701 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 14–15
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0467.html
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