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Brief vom 8. Januar 1702

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


485.


[027]
Versaille den 8. Januari 1702.
… Ich hütte mich, so viel ich kan, melancolisch zu werden, suche immer was zu schaffen, umb nicht ahn das vergangene noch zukünfftige zu gedencken. E. L. werden durch hertzogs Max jesuwitter[1] woll erfahren können, ob es wahr ist, daß I. L. catholisch geworden sein[2]. Hertzog Max wirdt desto glücklicher leben, wenig reflectionen zu machen, denn selbige helffen wenig undt quellen sehr. Die Hertzoge E. L. herrn söhne seindt dem römischen [028] König durch sein fraw mutter undt gemahlin ja nahe genung verwandt, daß er sie vor andern distinguiren solte. Das ist der jesuwitter große kunst, sich alß auff beyden seytten woll zu erhalten. Nun hertzog Max thut was I. L. der Churfürst von Braunsweig will, ist es ja auch billig, daß er ihm gelt schickt undt seine schulden zahlt. Viel gelt hette hertzog Max hir nicht bekommen; die allergrösten pensionen vor frembte fürsten gehen nie über zweytaußendt thaller. … Zu Wien will man nicht alt werden nach dem frantzöschen sprichwort, denn man pflegt alß zu sagen. on ne vieillit point à table, drumb tischiren sie so lange; warumb wollen E. L., daß diß die mühe nicht wehrt ist zu sagen, es ist doch ahngenehm zu wißen, wie es bei frembten höffen vorgehet. E. L. haben woll groß recht, daß die welt wie ein gartten ist, wo allerhandt kreüter in sein, gutt undt böß; unkraut vergeht woll so leicht alß das gutte gewäxs, allein es kompt geschwinder wider; die jungfer Colb pflegt alß zu sagen. alle tag waß neües undt selten waß gutts[3]. Es were woll schadt, wenn der braffe König in Schweden[4] ohne kinder sterben solte. Ich glaube, daß der König in Schweden so keüsch ist, weillen er es nie versucht hatt, denn man sicht wenig mannsleütte keüsch, wenn sie den bratten geschmeckt haben. Ich glaube, es heist auff teütsch was E.L. in frantzösch schreiben: sein gefäß in ehren halten. Warumb wollen E. L. einhalten was Ihnen in die feder kompt, denn E. L. sprechen ja nur ahn Dero Lisselotte, so mitt freüden list alles was E. L. schreiben. Wenn ich kein teütsch mehr schriebe, würde ich mein teütsch durchauß vergeßen, undt das were mir leydt, schreibe E. L. derowegen immer in unßere muttersprach; hette ma tante die fraw abtißin von Maubuisson öffter teütsch geschrieben, würden I. L. dero teütsch nicht so baldt verlernt haben; sie schreibt gar eine schönne handt auff frantzösch, allein sie ortograffirt nicht woll undt vergist gar offt die wörter; sie hatt doch noch große vivacitet undt schreibt recht poßirlich…
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 8. Januar 1702 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 27–28
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0485.html
Änderungsstand:
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