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Brief vom 22. Dezember 1702

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


514.


[054]
Versaille den 22. December 170[2][2].
… Ich glaube, daß Guiscar lieber mitt einem schönen pagen vom hertzog von Wolffenbüttel were eingespert geweßen, alß alle die festen zu sehen, so man ihm geben hatt; hir wirdt er nicht so sehr gerümbt alß in Teütschlandt, denn man helt ihn so woll vor brutal alß desbauchirt. Es muß ihm gehen wie den prophetten, so nirgendts weniger gelten, alß in ihrem vatterlandt. Ich dachte nicht, daß mons. Duson[3] andere divertissementen liebte, alß groß spiel spiellen… Man hört immer von den divertissementen vom Wolffenbüttelschen hoff, finde, daß sie recht woll thun, sich dortten immer lustig zu machen; wenn man sich so mitt lust in ahtem helt, verspührt man das alter nicht, so herbey kompt. Hir will man noch nicht meinen, daß die Holländer den krieg begehren; Churpfaltz solle gar übel gegen Franckreich inclinirt sein. Ich kene die Frantzoßen, sie mögen woll über ihren König böß sein, aber alle ihre boßheit geht nur, lieder gegen I. M. zu singen, im übrigen aber werden sie lieber alle hunger sterben, alß ihrem König gelt manglen zu laßen; ist also mehr resource hir, alß man meint. Wie es mitt Cöln undt Wolffenbüdel gehen wirdt, soll die zeit lehren. Mich wundert, daß I. L. der Churfürst nicht mehr alß etlich undt 50 schwein gefangen, denn diß jahr hatt es doch viel aicheln geben. Es seindt ordinari die großen wilden saüe, so durch die dücher dringen. Ich habe in Teütschlandt nie keine schweinsjagten gesehen ohne dabey zu hören, daß bawern übel beschädiget sein worden; ich finde, daß I. L. der Churfürst magnifiq im geben geweßen; dem bawern 40 thaller zu geben ist vor so ein mensch ein groß present. Ich habe auch in der Chevreana observirt was E. L. mir belieben zu sagen; ich habe aber nichts dagegen sagen mögen. Chevreau[4] ist erst vergangen jahr gestorben; ich schrieb es E. L. damahlen undt wie er vor seinem todt noch geschrieben, ob er gleich die sprach verlohren hatte. Hette er in sein buch gesetzt, daß er nichts glaube, hette mans nicht gedruckt. Gourville[5] lebt zwar noch, soll aber gantz kindisch sein… Heütte sicht man die sonne gantz undt gar nicht; Montag, Dinstag undt Mittwog war das schönste wetter von der welt, ein heller sönnenschein, kein so heßlicher dicker nebel wie nun, undt perfect schön wie im frühling. Ich habe mich Montags undt gestern das wetter woll zu nutz gemacht, hab braff zu fuß spatzirt, Dinstags aber fuhr ich nach St. Germain undt besuchte die unglückliche königliche personen dort. Ich fürcht, die Königin wirdt endtlich sterben, denn I. M. werden so mager undt dör wie ein scheydt, sicht bleich auß wie der todt, [055] thut nacht undt tag nichts alß weinen; sie kan nicht mehr schlaffen nachts undt kan sich gar nicht in ihr unglück ergeben, fürchte also, daß I. M. gantz außsehren[6] werden. Der kleine König[7] wexst sehr, aber sein kinn wirdt ein wenig zu lang, er ist aber auch gar mager; das printzesgen[8] ist auch groß vor I. L. alter, hatt eine hübsche taille, woll geschaffen, allein sie ist gar nicht schön von gesicht, sie hatt zwar hübsche augen, aber einen gar großen mundt, undt das gesicht ist zu lang undt schmahl vor ihr alter. Der gutte König Jacob hatt brieff ahn den König undt Monsieur s[eelig] geschrieben gehabt, so man in I. M. porte lettre gefunden, es seindt rechte predigten. Jodelet prince ist von Corneille le jeune[9], so jetzt über 80 jahr alt ist, man heist ihn aber noch also, [um ihn] von dem andern[10] zu unterscheiden, so sein vetter[11] war undt welchen man le grand Corneille heist. Könten unßere geister reißen, würde ich gewiß nicht wartten, biß E. L. genie zu mir käme, ich würde baldt bey E. L. sein… Man tregt jetzt die esclavage[12] gantz anderst alß im ahnfang; ich finde, daß es beßer stehet, wie sie es nun tragen, sie faßen eine so lange schnur perlen ein, daß sie 3 mahl umb den halß gehen könte, thun immer zwischen zwey große perlen eine kleine, so verhindert, daß sich die perlen nicht rüren können undt man dadurch ihre ründe undt waßer beßer sehen kan. Dieße schnur perlen threhen sie 2 mahl umb den halß, just auff der mitten von der brust machen sie es creützweiß, wie die Königin in Preussen es schon tregt, undt seindt zwey große quasten perlen, die hencken biß auff den magen, undt größere runte perlen, alß die schnur ist, machen den knopff ahn dem quasten oben. Ich habe die Königin in Spanien[13] recht lieb, es ist das beste kindt von der welt, schreibt mir gar fleißig. Die pr. des Ursins[14] hatt eine manoeuvre gehalten, so mir nicht gefählt; sie hatt hir ein groß vacarme gemacht, alß wenn die Königin in Spanien einen dollen kopff hette, damitt man hernach, wenn man sie so gutt undt fromb sehen mögte, glauben solte, alß wenn sie ursach were, daß die Königin jetzt so einen gutten humor hette…
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. Dezember 1702 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 54–55
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0514.html
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