Seitenbanner

Brief vom 1. Mai 1704

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


532.


[074]
Versaille den himelfahrttag den 1. May 1704.
Heütte haben wir einen heiligentag wie E. L. undt müßen dießen nachmittag in die vesper, welches eine langweillige sach ist. E. L. werden heütte auch singen: Allein Gott in der höhe sey ehr undt danck für seine gena ha ha de, daß nun forthin undt nimmermehr unß scha ha den ka ha han kein scha ha hade (so hatt mans alß zu meiner zeit gesungen), ein wollgefahlen Gott ahn unß hatt, nun ist groß friedt ohn unterlaß (das weiß ich nicht, wo der ist), al feht[1] hatt nuhun ein en he hende (mich deücht aber, es seye überall noch feht genung). Bey den reformirten undt lutherischen seindt die feyertag nicht so langweillig alß bey den catholischen, denn erstlich, so wehrt es bey den ersten nicht so lang, undt zum andern so verstehet man was man sagt undt kan mitt singen; das vertreibt die zeit, aber mitt dem lateinischen geblär ist kein raht undt es wehrt dazu bitter lang. Das gesetz des allerhögsten wirdt übel gefolgt, denn mich deücht, daß sich die menschen nie mehr gehast haben, alß nun. Es ist doch eine ellende sache, daß der menschen leben so kurtz ist undt ahnstatt daß sie allen ihren verstandt gebrauchen solten, sich die zeit zu nutz zu machen, umb glücklich undt mitt lust zu leben, so denckt man ahn nichts, alß sich selber undt andern das leben sauer undt verdrießlich zu machen. Das ist übel bedacht [075] undt gar nicht nach Gottes gebott; jedoch weillen in allen sachen ein verhengnuß ist, muß unßer Herrgott es doch woll so haben wollen, sonsten ging es anderst. Der printz von Wolffenbüdel[2] piquirte sich, die schöne kunst, so er hir practicirte, zu Venedig gelernt zu haben; mag sich woll mitt dießem schönnen werck so zugericht haben, daß er keine erben bekommen kan; das geschicht offt bey dem handtwerck. Muß lachen, daß E. L. meinen, daß er bey seiner gemahlin[3] eins vors ander nimbt. … Wenn ich die romans lange undt ahn einem stück leßen müste, würden sie mir beschwerlich fallen; ich leße aber nur ein bladt 3 oder 4, wenn ich met verlöff auff dem kackstuhl morgendts undt abendts sitze, so amusirts mich undt ist weder mühsam noch langweillig so. Hertzog Anthon Ulrichs roman[4] ist recht schön teütsch undt woll geschrieben; ich bin fro, daß mein brieff dem gutten herrn ahngenehm geweßen ist; wenn der verstorbenen hertzogin prophezeyung solte wahr werden, würde der arme herr nicht lang mehr zu leben haben; ich wolte doch, [daß] die Octavia vorher auß were. Unßer König muß patte[5] haben gefallen wollen, der hertzogin von Zell[6] ihre gütter wider geben zu haben. Es ist eine possirliche sache, daß dieße hertzogin in ihrem hertzen catholisch ist undt doch zum reformirten h. abendtmahl geht…
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. Mai 1704 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 74–75
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0532.html
Änderungsstand:
Tintenfass