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Brief vom 16. November 1704

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


554.


[093]
Versaille den 16. Novembre 1704.
… Vor herrn von Leibenitz contrefait sage ich gehorsamen danck; mich deücht: in mundt undt kinn hatt es etwaß von mons. Chevreau[1]. Wo mir recht ist, correspondirte er hir auch mitt dem armen mons. de Meaux[2]. … Man muß vor die princes von Ahnspach[3] hoffen, daß sie allezeit in ihrer gottesfurcht undt eyffer bleiben möge, damitt die rewe sich nicht finden möge, noch nach das frantzösche sprichwort gehen: qui refusse apres musse[4]. Die ewige cron ist unsicherer, alß die spanische, undt es gehört viel dazu. Da sicht man noch woll ahn, daß alles in der welt verhengt ist, denn hette dieße princes catholisch sollen werden, würde des patter Urbanus[5] eloquentz nicht verlohren worden, aber eloquentz hilfft nichts, wo das verhencknuß einen zu waß änderst versehen hatt. Wenn patter Urbanus das glauben könte, würde er sich leicht trösten, aber weillen die Jansenisten von dießer opinion sein, müßen die jesuwitter das contrarie glauben. Solten sie es auch schon in ihrem gewißen so befinden, müßen sie es doch ihr leben nicht gestehen. Wenn der verliebte printz, so verstandt hatt, selber gesprochen hette, würde seine eloquentz vielleicht beßer operirt haben, alß alle des jesuwitter verstandt. Was auß pfaffenmauller kompt, lautt nicht so ahngenehm. Aber ich kan nicht begreiffen, wie die Lutherischen mühe haben, catholisch zu werden, denn sie glauben ja die catholischen ceremonien, undt der unterschiedt vom glauben [ist] so gering, daß es der mühe nicht wehrt ist, drüber zu disputtiren, noch weniger, eine crone davor zu verschertzen. E. L. sagen, daß unßer herr Gott die änderung in alles liebt; dieße andtwort gab der [094] König von Siam ahn unßers Königs ambassadeur: alß dieße den obgemelten König pressirten, ein Christ zu werden undt catholisch, sagte er: Ich glaube, daß ewers König religion gutt ist, allein wenn Gott wolte nur durch eine religion gedint sein, so würde er nur eine in die welt gesetzt haben, weillen aber so viellerley sein, ist es ein zeichen, daß Gott auff so viel art will gedinnet sein; also thut ewer König woll, bey seine religion zu bleiben, undt ich, bey die meine; undt umb zu weißen, wie Gott die varietet liebt, mag man nur sehen, wie alles in der natur different ist. Hirauff hatt man eben nicht recht gewust, was zu andtworten ist. Eine sach, so mich alß wunder nimbt, ist, daß, wenn unßer herr Christus vom jungsten gericht spricht, er nur sagt: Ich bin nackendt geweßen undt ihr habt mich nicht gekleydt, ich bin durstig geweßen undt ihr habt mich nicht gedrenckt, hungerig undt ihr habt mich nicht gespeyßet[6], aber nirgendts sagt er: Ihr habt nicht ahn mir geglaubt, wie ihr thun soltet, also scheindt es woll, daß woll zu thun das vornehmbste ist, umb seelig zu werden, das überige ist pfaffengezänck. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. November 1704 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 93–94
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0554.html
Änderungsstand:
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