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Brief vom 7. Februar 1706

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


594.


[124]
Versaille den 7. Februari 1706.
… Was ich gar heßlich finde, ist, daß der todt einen nach dem andern hin nimbt: gestern morgendts umb 4 starb der cardinal de Coislin[1], so premier ausmonier vom König war undt seyder des cardinals de Bouillons [125] unglück die charge vom grand ausmonier exercirt, so der König nun dem cardinal de Janson[2] geben, so wider von Rom kompt. Der gutte cardinal de Coislin wirdt von jederman regretirt, er war ein gutter höfflicher mann, den man sein leben in keine intrigue gefunden, war über die maßen charitable; es ist nicht zu beschreiben, wie viel charitet er in sein dyocese zu Orleans gethan. Er ist nur 4 tag kranck geweßen. … In meiner schönnen bibel seindt keine Churfürsten von Saxsen noch doctor Luther, sondern nichts alß biblische historien; E. L. ihre muß noch anderst sein alß die meine, so nur in einem tome ist. Die schönne kupfferstück machen lust zu leßen. Man hört zu offt von der bibel reden, umb die historien davon vergeßen zu können; man findts überall gemahlt. Ich begreiffe noch faße die bibel noch weniger alß E. L., aber ich leße die bibel gern, insonderheit das alte testament; was ich aber in der bibel ahm ungernsten leße, seindt die episteln, die finde ich undeütlich undt langweillig. Alle menschen lügen woll, ich glaube aber, man solle die nur vor rechte lügner halten, so allezeit lügen undt gantze historien erdencken, undt in dem fall weren nicht alle menschen lügner. E. L. haben woll groß recht: wer nichts eytel will finden, müste die weldt räumen. Wie wenig kenne ich die Heydelbergische aufferzucht in Louisse undt Amelisse übermäßige gottesfurcht … Da springt Titi[3] auff mein papir undt macht mir zwey saüe machen, bitte demütigst umb verzeyung, aber ich hoffe, daß E. L. mir erlauben werden, dießen brieff nicht wider abzuschreiben undt Titi impertinentz gnädigst entschuldigen, denn ich habe heütte gar viel zu schreiben; ich muß noch in Spanien, Engellandt undt Lotheringen wie auch ein par brieff nach Paris schreiben … Ahn kein frembt gedrenck habe ich mich nicht gewohnen können, wolte lieber warmbier mitt mußcadnus drincken, alß chocolatte, caffé undt thé, kan keines von dreyen vertragen, kompt mir wie medecin vor; keine frantzosche ragoust kan ich auch nicht eßen, finde sie gar nicht gutt, sawerkrautt undt brauner kohl schmecken mir beßer; diß letzte kan man hir nicht haben, das erste aber eße ich etlichmahl, denn ein cammermagt von der printzes von Zweybrücken[4] ist zu Paris blieben, so von Strasbourg ist, die bringt mir offt gutt sawerkrautt, so sie selber macht undt kocht. Ich glaube, daß, wenn man wie vor dießem sich ahn die hartten speyßen gewonte, daß die junge leütte starcker sein würden; nun können die junge leütte weder stehen noch gehen; zu meiner zeit stundt man einen gantzen tag ohne müht werden. Es wundert mich zu sehen, wie die jugendt nun ist; ich glaube, die zeit wirdt kommen, daß sie sich alle in betten werden herumb tragen laßen wie krancke … Ich habe gleich abgecopirt was I. L. der cronprintz von Preussen ahn E. L. wegen des conte Cagitani geschrieben[5] [126] undt ahn mons. de Polier[6] geschickt, das erfrewet ihn recht, habe derowegen nicht dazu gesetzt, was I. L. des cronprintzen meinung davon ist, aber wie [127] ich sehe, so werden I. L. woll nie von den goltmachern erdapt werden … Ich fürcht, des Königs in Schweden destin ist, im krieg umbzukommen undt daß er sich so lange schlagen wirdt, biß er endtlich selber drauff geht undt ihm nach dem frantzoschen sprichwordt gehen wirdt: tant va la cruche à l’eau qu’à la fin elle se brisse
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 7. Februar 1706 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 124–127
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0594.html
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