Seitenbanner

Brief vom 1. Juli 1706

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


608.


[138]
Marly den 1. Julli 1706.
… Es kompt mir recht wunderlich vor, daß man E. L. große pancarten[1] von der adoption ahn der cron Engellandt bringt undt daß man E. L. nicht gibt, was die negsten erben ahn pension haben sollen. Ob es E. L. zwar nicht hoch von nöhten haben, so könte es Deroselben doch nicht schaden, undt deücht mir, daß es schimpfflich vor cron Englandt ist, die adoption ohne die pension zu schicken. Wie E. L. mir den Churprintz beschreiben, muß er sein was man hir quinteux heist; das seindt die unleydtlichsten humoren undt mitt welchen man ahm wenigsten zurechtkommen [kann], undt die seindt zu beklagen, so mitt solchen leütten zu thun haben; [ich] beklage I. L. undt insonderheit seine gemahlin; es muß aber auch des hoffmeister schuldt sein, so I. L. gehabt haben, denn hette er ihm den kopff in der jugendt gebrochen undt recht gewießen, was er jederman schuldig ist, würde er raisonabler geworden [sein]. Man solte ihm haben begreiffen machen, daß man die leütte vor boßig helt, wenn sie so sein; wenn man ihm das recht eingeprägt hette undt seiner großherrvattern exempel vorgestelt, wie die sich mitt ihren politessen undt gutten humor bey der gantzen welt estimirt undt beliebt gemacht haben, auch daneben begreiffen machen, wie er durch seine gebuhrt viel weniger ursach hatt, stoltz zu sein, so bin ich gewiß, daß, wo er anderst verstandt hatt, wie man sagt, daß er reflectionen würde gemacht haben undt in sich gangen sein. Ich bilde mir den Churprintz gantz ein, wie den graff Platten. … Der hießige general Villars hatt dem König in gnaden abgeschlagen, mitt meinem sohn zu dinnen, denn er bestiehlt das Elsaß undt die Pfaltz so unerhört, daß [er] 500 hundert (!) pistollen des tags gewindt. Er mag meinen sohn haßen, wie er will, so hatt er doch nicht wehren können, daß mein sohn ihm vor etlich jahren ein groß undt schön hirschgewicht[2] auffgesetzt hatt so woll alß viel andern mehr. Von der [139] englischen cron werde ich dießmahl nichts sagen; Gott laße alles zu E. L. vergnügen außschlagen, so bin ich schon zufrieden. Es fehlt viel, daß man jetzt so schönne taillen sicht alß wie vor dießem; das kompt, weillen die weiber keine leiber[3] nicht mehr tragen wollen; es benimbt auch die scham, denn man ist so gewondt, nackendt, so zu sagen, vor die manßleütte zu gehen, daß sie sich gar nicht mehr vor ihnen schämen, ist also in allem eine gar heßliche mode. Ich weiß nicht, wie die männer es leyden können, daß sich ihre weiber so ungeschnürt weißen. Ich habe offt remarquirt, daß die männer nichts mehrers scheüen alß hanereyen zu werden, undt geleyten ihre weiber selber zu alles was die schamhafftigkeit verliehren macht, undt wenn die einmahl dahin ist, folgt das ander baldt hernach …
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 1. Juli 1706 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 138–139
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0608.html
Änderungsstand:
Tintenfass