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Brief vom 5. April 1708

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


653.


[174]
Versaille den 5. April 1708.
Were ich noch zu Heydelberg, würde ich nun singen[1]:
Nun freut euch, lieben christen gemein,
Undt last unß frölich singen[2]
[Daß wir[3]] getrost undt all in ein
[Mit[4]] lust undt liebe springen[5].
Was er[6] ahn unß verheyßen[7] hatt
Durch seine große wunderthat[8],
Gar thewr hatt ers erworben
.
Denn ich komme jetzt eben vom h. abendtmahl. Ich förchte aber, wenn ich springen solte, würde ich die cammer einfallen machen, denn ich bin eine schwere waar … Der Gaetani[9] hatt die gefangnuß woll verdint, den König in Preussen betrogen zu haben. Heist das der König in Preussen kein gelt geben, wenn er eine taffel undt 3 kutschen mitt 6 pferden unterhelt? Da gehört ja gelt zu undt erhelt sich nicht mitt laub von den bäumen. Zu Hannover kan man sich berühmen, daß man des Gaetani dupe nicht geweßen.
Von unßern jungen König in Englandt[10] wißen wir noch gar nicht, wo er hinkommen ist. Es were mir von hertzen leydt, wenn er in unglück [175] kommen solte. Wenn sein herr vatter, König Jacob, ein heyliger, solte er es lieber ahn seinem sohn beweißen undt ihn bewahren undt wider auff den thron helffen, das were beßer undt raisonabler, alß krancke heyllen. Ich habe lachen müßen, daß E. L. den König in Engellandt den König in partibus heißen, wie die bischöffe; aber er ist doch warlich der rechte erb. Es were mir herzlich leydt, wenn er solte gefangen werden; es were etwaß abscheüliches, wenn die Königin Anne ihren leiblichen bruder solte hinrichten laßen. König Jacob s[eelig] fehlte nicht von hertz undt courage, aber er glaubte alles was man ihm sagte, undt die leütte, so in Irlandt bey ihm waren undt weniger hertz hatten alß er, machten ihn durchgehen.
Wenn printz Ugene[11] nicht geendert ist, werden E. L. ein kurtz auffgeschnupfftes näßgen, zimblich lang kinn undt so kurtze oberleffzen [sehen], daß er den mundt allezeit ein wenig offen hatt undt zwey breyte, doch weiße zähn sehen lest, ist nicht gar groß, schmahl von taille undt hatte zu meiner zeit, wie er hir war, schwartze blatte haar, ich glaube aber, daß er nun die peruque tregt. Er hatt verstandt; man hatt ihn nicht sehr geacht, war gar jung undt man meinte, daß nichts anderst alß ein abt auß ihm werden solte. Dießer eckstein ist schon auff viele gefahlen undt hatt sie zermarmelt. Ich bin fro, daß mein sohn sich nicht ahn ihm zu stoßen hatt diß jahr. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. April 1708 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 174–175
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0653.html
Änderungsstand:
Tintenfass