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Brief vom 29. April 1708

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


655.


[176]
Marly den 29. April 1708.
… Ich weiß nun so gewiß, wo unßer König in Englandt ist, daß ich gestern eine halbe stunde bey I. M. zugebracht habe. Ich habe nie begreiffen können, warumb man so gar offentlich von dem ahnschlag gesprochen hatt von Schottlandt. Ich darff aber durch die post meine gedancken nicht sagen, aber wunder hatt es mich nicht genohmen, denn alles ist nun unbegreifflich sowoll was bey hoff alß was im raht vorgeht. Von dießem allen ist die ursach leicht zu rahten[1]. Das erinert mich ahn das alte teütsche sprichwordt:
Wo die Soldaten sieden undt braten
Undt die geistlichen zum kriege rahten
Undt die weiber haben das regiment,
Da findt man selten ein gutt endt
[2].
Man muß aber in Schodtlandt nicht meinen, daß es eine bloße einbildung von hir geweßen, daß sie gern ihren König bey sich gehabt hetten, weillen man ja den duc de Gourdon[3] undt noch 3 andere große herrn von dem Königreich in verhafft genohmen hatt.
Ich kan auch noch woll reformirte psalmen außwendig, aber nicht so viel alß lutherische lieder. Das, so E. L. singen, fengt ahn:
Wie nach einer waßerquelle
Ein hirsch schreyet mitt begir,
Also auch mein arme seele
[177] Rufft undt schreyt herr Gott zu Dir,
Nach Dir lebendigen Gott
Sie dürst undt verlangen hatt.
Ach wan soll es denn geschehen,
Daß ich Dein antlitz mag sehen
.
Was E. L. singen, ist das 3. versiquel von dießem psalm; es wirdt aber zweymahl widerhollet. Ich kan auch noch den 23.: Mein hütter undt mein hirt ist Gott der herr, den 51.: Herr Gott, nach Deiner großen güttigkeit wolst Du Dich gnädig über mich erbarmen, den 6.: In Deinem großen zorn, vor dem ich bin verlohren, ach herr Gott straff mich nicht etc., den 103.: Nun preiß mein seel den herrn lobesame, alles in mir lob seinen werten nahmen, den 19.: Wer in des allerhöchsten hutt undt schutz seiner gnaden gleich einem schadten wohnen thut etc., 130: Zu Dir auß hertzens grunde ruff ich in tieffer noht, es ist nun zeit undt stunde, erhör mein bitt, herr Gott, 77: Zu Gott in dem himmel droben meine stimm ich hab erhoben, 97: Der herr ein könig ist, deß sich zu aller frist erfreüdt die gantze erden, all inseln frollig werden, dunckel undt finsterheit seindt ihm zu allerseydt undt seines stuhls grundt fest, darauff er stehet fest, ist recht undt billigkeit. Das sung man zu Heydelberg mitt psaunenen[4] undt zincken in der kirch. Auß dießem allen [sehen] E. L., daß ich auffs wenigst noch ein dutzendt psalmen außwendig kan …
Die grösten stellen seindt nicht die, wo man ahm meisten zufriedenheit findt, undt wie man in Thesée[5] singt:
Ce n’est point dans le rang supreme,
Qu’on trouve les plus doux apas,
Et souvent un bonheur extreme
Est plus sur dans un rang plus bas
,
also glaube ich, daß E. L. viel glücklicher Churfürstin in Teütschlandt, alß Königin in Engellandt sein werden, denn die Engeländer seindt unbeständige undt wunderliche köpff[6]. Ich kan die Königin Anne vor keine gutte fraw halten, ihren leiblichen herrn vatter verfolgt zu haben, der der beste mann von der welt war undt sie hertzlich lieb hatte. Das kan ich ihr nicht verzeyen …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 29. April 1708 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 176–177
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0655.html
Änderungsstand:
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