Seitenbanner

Brief vom 22. September 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


707.


[227]
Versaille den 22. September 1709.
… Ich finde, daß der Czaar großen verstandt hatt undt gar apropo spricht. Ich glaube, er will seinen printzen so lang reißen machen, umb ihn zahm zu machen, alß wie man die raubvögel, so man zahm will machen, auff der faust gantze nächte herumb tregt …
Die citadel von Tournay ist über[1]; mons. de Surville[2] war eben bey mir; er ist halb daub worden von dem viellen schießen. Mons. Schoullenburg[3] hatt allzeit reputation erworben; wer in dießer bataille große ehre erworben hat, das ist Harling[4], er ist erst auß sein retranchement einer andern brigade zu hülff kommen, darnach, wie er wider in sein retranchement hatt rucken wollen, hatt er die feindt drinen gefunden, die hatt er hübsch wider weg gejagt undt hatt sich braff durchgeschlagen; ich glaube, daß es seinen oncle erfrewen wirdt.
Ich kan nicht glauben, daß hertzog Ernst August[5] in seinem 36. jahr seine jungferschafft noch hatt. Er muß etwaß gefunden haben, so ihn verleydt hatt, alß wie das historgen, so man von jener magt verzehlt, so bey einer adlichen damen war: der sohn im hauß, so noch gantz jung war, wurde verliebt von der magt. Sie war ein ehrlich mensch, wolte dem jungen menschen die lieb verleyden, sagte zu ihm: ihr kent das thier nicht, womitt ihr umbgehen wolt, es ist etlich böß undt beist. Der junge mensch wolte es nicht glauben. Die magt gibt ihm ein rendevous; nachts nimbt sie einen großen hechtskopff zu sich. Wie der verliebt cavalier ahngestochen kompt, führt sie ihn in den hechtskopff undt drückt zu. Der arme galant wurdt von den zähnen jämerlich zugericht, ließ darvon undt ließ sich heyllen. Etlich zeit hernach wolte die mutter ihren sohn verheürathen; der sohn sagte: Nein, fraw mutter, mitt solchen dingern gehe ich mein leben nicht mehr umb, sie [228] beyßen zu starck, ich habe es einmahl versucht. Die mutter meinte, es hette ihm vielleicht ein unehrlich mensch waß bößes geben undt daß er das beißen heiße, sagt zu ihm: Ey, die ich euch geben will, ist gar eine ehrliche dame, die wirdt eüch nichts übel geben. Der sohn sagte: Die spitzige zähn thun gar zu weh. Die mutter kundt nichts ahn dem discurs begreiffen; sie klagts der matt[6], daß ihr sohn so einen abscheülichen widerwillen zum heürahten hette undt sie wolle ihn doch vor ihrem endt geheüraht sehen. Die magt fing ahn zu lachen undt gestundt ihrer frawen den gantzen handel. …
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. September 1709 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 227–228
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0707.html
Änderungsstand:
Tintenfass