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Brief vom 9. Februar 1710

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


719.


[237]
Versaille den 9. Febr. 1710.
Ich fange heütte ahn, E. L. durch mons. Closner zu schreiben, denn ich habe noch ein stündtgen zeit, in meiner cammer zu sein. Waß soll ich E. L. aber guts von hir sagen? Alles ist auff den alten schlag; der König lest sich noch immer durch das alte weib absolutte regiren: ich glaube, sie zehlt ihm die wörtter, so er mitt mir reden darff, denn wenn er mich gefragt hatt, ob ich nicht außgefahren, oder es ist heütte kalt oder nicht so kalt, undt ich nach meiner andtwort einen andern discours ahnfangen will, thret sich der König umb, macht eine reverentz undt geht weg. Wenn die alte mich ungefehr begegnet, endert sie von gesicht. Ich laß mich aber nichts mercken, gehe zu ihr, frag, wie sie sich befindt; ist sie kranck, schicke ich alle tag zu ihr. Die duchesse de Bourgogne lebt jetzt ein wenig höfflicher mitt mir, alß vor dießem. Die made la duchesse[1] gouvernirt den dauphin absolute undt macht, daß er mich, ihre schwester undt meinen sohn undt enckel alle hast wie den teüffel; er, der sein leben vor keinen menschen bey dem König weder guts noch böß gesprochen, hatt zum ersten mahl den munt auffgethan, den König zu wehren, meinen enckelen die gerechtigkeit zu [238] erweißen undt ihren rang zu regliren. Er kan nichts dagegen einwenden, weill er woll sicht, daß wir recht haben, sagt drumb nur zu seinem herrn vatter, dem König: Si vous jugés cette affaire, vous me mettés au dernier desespoir. Die princes de Conti, die mein sohn vor seine beste freündin hilte, hat ihm den rücken gewendt undt sich zu made la duchesse geschlagen, gegen seine kinder. Summa: man lebt im schein höfflich, aber alles ist hir unter einander wie hundt undt katzen. Ich will mich in alle die händel nicht mischen, ich lebe vor mir selber wie ein reichsstättel[2]. Gott erhalte den König lange jahr; solte er sterben, wirdt made la duchesse undt ihr halbbruder Dantin[3] das gantze Königreich regiren, undt wie sie ahn nichts alß interesse gedencken, wirdt man von keiner gerechtigkeit mehr hören, alles wirdt drunter undt drüber gehen. Der duc de Bourgogne hatt die devotte cabale, die sich alßdan auch rühren. Das wirdt ein doll leben geben, die ehrlichste leütte werden ahm meisten leyden. Der duc de Bery denckt ahn nichts alß eßen, trincken undt schießen undt spillen. Der König helt noch alles in die schrancken, aber solt er nicht mehr sein, kan man nichts alß ellendt vor sich sehen. Mich werden sie gewiß nach Montargie[4] jagen undt mich dort laßen ohne mir nichts zu geben; was man vorsehen kan, ist lautter unglück. Ich will mich aber nicht vor der zeit bekümmern. …
Die gräffin Cossel[5] muß eine brutale bestia sein, den König in Preüssen so plump zu andtworten, da er ihr mehr höfflichkeit erweist, alß sie wehrt ist. Sie muß nahe bey ihrem unglück sein, denn hoffart kompt vor den fall. O wie woll thut der König in Preüssen, dießer Gott segne unß alle nichts mehr zu geben; sie ist nichts alß coups de pied au cus wehrt. Vor die liste von allen fürsten in Leibzig sage ich gehorsamen danck. Der fürst von Anhalt[6], wo der cronprintz viel von helt, mag woll ein gutt soldat sein, aber sonst ist nicht viel darhinter, soll allezeit voll sein undt kan nie rechts reden, soll sehr brutal sein. Der cronprintz solte ihn beßer ziehen, sonsten wirdt er seiner protection keine ehr ahnthun. Ich gestehe, daß ich nicht woll leyden kan, daß eine apotecker dochter vor eine fürstin passirt undt so ein alt hauß verschendt …
Churpfaltz[7] weist die raugraffin[8] auff mich; ich halte aber ihre gütter nicht ein. Ich verstehe die rechte so wenig undt noch weniger, alß E. L., mich deücht aber, daß es raisonabel ist, wenn man alle gütter von einem hauß hatt, daß man denen, so noch leben, zu leben gibt, undt wer kan in jetzigen zeitten mitt 500 thaller leben? Das ist schlegt vor einen [239] Churfürsten, insonderheit da nur eine eintzige person noch übrig, hette er doch woll ihr leben lang das ihrige genießen laßen sollen; er hatt ja genung von unßerm herrn vatter s[eelig] geerbt; dazu hatt dießer Churfürst ja keine kinder, solte also nicht so gar sparsam sein.
Ich finde es keine große faveur vom Keyßer, haben zu wollen, daß I. L. der Churfürst von Braunsweig die Keyßercron im wapen führt; es seindt sachen genung in des Churfürsten wappen, die cron wirdt kein groß ornement drin geben. I. L. haben auch woll groß recht, keine armée commandiren zu wollen[9], wenn man ihnen nicht dazu gibt, was ihnen von nöhten ist; mitt nichts kan man nichts außrichten …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. Februar 1710 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 237–239
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0719.html
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