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Brief vom 3. April 1710

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


723.


[242]
Versaille den 3. Aprill 1710.
… Man spricht seyder etlichen tagen hir sehr starck von einer revolte, so zu London solle sein wegen eines pfarers, so gegen das gouvernement soll offendtlich gepredigt haben[1], welchem, wie man sagt, man die kantzel verbietten wollen, aber das pöpelvolck hette sich seiner ahngenohmen undt deswegen eine revolte gemacht. E. L. werden ohne zweyffel beßer wißen, was es eygendtlich ist. Ich bin sehr persuadirt, daß die thronen die örter nicht sein, wo man sich ahm lustigsten machen kan, denn das leben kost zu viel sorgen undt mühe undt zwang, welches alles drey der lust zuwider ist. [243] Umb von hertzen lustig sein zu können, muß man keinen zwang haben; das temperament thut auch viel dazu, undt es stehet nicht allezeit in unßerm willen, lustig oder trawerig zu sein. Was leyder I. G. mein herr vatter das leben verkürtzt hatt, wie Louisse E. L. wirdt sagen können, war, daß I. G. nur zu sehr gesucht, die trawerigkeit zu verjagen undt über vermögen haben lustig sein wollen mitt einer jungen starcken Schweitzerin[2], so freüllen bey der fraw raugräffin geweßen war. So werden gewiß E. L. Dero leben nicht verkürtzen. Weillen es ja nur auff zwey augen bestehet, umb Königin von Engellandt [zu werden], könte es E. L. gar leicht geschehen; es sterben mehr junge, alß alte. König Wilhelm undt seine gemahlin waren ja auch viel jünger, alß E. L., E. L. haben sie doch überlebt, also könte dieße Königin auch woll sterben. Wie es aber auch geschehen mag, wünsche ich E. L. ein vollkommenes vergnügen.
Ich glaube nicht, daß man den duc de Bery verheüraht, aber daß der hertzog von Wolffenbuttel sein enckel vorgeschlagen, ist gewiß. Ich gestehe, daß ich lieber einen teütschen regirenden herrn gehabt hette, alß Monsieur s[eelig], undt damals wuste ich nicht, in was exes[3] die hießige sclaverey ist, wie ichs hernach erfahren. Der König wirdt sein leben nicht leyden, daß sein enckel eine person nimbt, so von religion geendert hatt; er hatts declarirt: sie solten hier nie keine andere nation nehmen alß die ihrige, denn die allein könne sich in das dolle leben schicken … Flandern ist reicher, alß die Pfaltz, undt Villars soll doch mehr alß 2 millionen auß der Pfaltz gezogen haben; also ist leicht zu glauben, waß eine unerhörte summe der duc de Marlbouroug auß Niederlandt muß gezogen haben. Man solte l’avare[4] vor milord Marlbouroug spillen, damitt er sehen mag, wie ridicule es ist, so gar karg zu sein; die fraw von Ratzamshausen pflegt alß ein sprichwordt zu sagen: Es geht klein her, sprach der wolff, wie er nichts alß schnecken fraß … Solten E. L. woll glauben, daß die meß distinctionen im rang macht? zum exempel niemandts alß les petittes filles de France dörffen cler[5] de chapelle haben, so die meß beantwortten undt eine fackel halten von dem sanctus der preface ahn biß zum domine, non sum dignus; die princesses du sang dörffen keine fackeln noch aparten cler[6] de chapelle haben, laßen ihre meß durch pagen beantwortten. Zu endt der meß bringt der prister le corporal[7] zu küßen, das geht nicht weitter alß les enfants de France, wie auch einen kelch mitt waßer undt wein zu drincken, das kompt unß auch allein zu undt geht nicht an prince du sang. Also sehen E. L., daß hir in alles ceremonien ist sowoll alß devotion, undt hir ist in alle geistlichen sachen allezeit auch ein weltlich absehen, also solte die sach [244] unßerm Herrgott nicht so woll gefahlen alß zu wünschen were, so findt man doch etwaß weltliches, wozu es gutt ist, also nicht alles verlohren.
Ich kan nicht begreiffen, was vor ein absehen hertzog Anthon Ulrich haben kan, in seinem alter von religion zu endern[8], denn wir seindt nicht mehr in den zeitten von den miraclen. Ich bitte E. L. demütigst, wenn Sie wißen, warumb es geschehen, mir es auch wißen zu laßen. Vor den gutten hertzog würde es mich nicht wunder nehmen, daß I. L. von religion geendert hetten, aber nun dencke ich, daß sie vielleicht cardinal wollen werden undt hernach papst. Wenn das in meinem leben geschicht, will ich meinen proces wider ahnfangen, denn abbé de Polignac hatt mir gesagt, man könne einen zu Rom nicht vor condamnirt halten, man hette denn drey sentenzen gegen sich; also habe ich noch zwey zu suchen, die muß ich suchen, wenn hertzog Anthon Ulrich papst wirdt sein, denn ich kan hoffen, daß I. L. mir favorabler sein werden, alß dießer jetzige papst (hette schir fourbe gesagt). So verlangt mich zu erfahren, waß auß dießem allen werden wirdt undt was I. L. selber davon sagen werden. Umb einen gegen zu persuadiren was man 67 jahr geglaubt hatt, da gehört eine große eloquentz zu undt der zuhörer muß ein groß vertrawen haben. Weillen der Erbprintz[9] so chagrin über seines herrn vattern bekehrung ist, wirdt [er] woll sein exempel nicht folgen. Das wirdt vielleicht das erste miracle werden, so der hertzog durch sein eyfferig gebett von Gott erhalten wirdt, wie ohne zweyffel die Königin von Barcellone[10] undt mons. Imhoff[11] seine, des hertzogs, bekehrung verursachet hatt. Ich glaube, daß hertzog Anthon Ulrich nicht beßer wirdt thun können, alß hertzog Johan Friderichs exempel zu folgen, denn glauben lest sich bergen, aber nicht zwingen … Zu Nürnberg wirdt man woll neüe medaillen auff dieße geschicht machen. Warumb solte dießer hertzog E. L. die sach verhelen, er weiß ja woll, daß E. L. es nicht übel finden, daß man catholisch wirdt, wenn man gutte ursachen dazu hatt. Es ist der große Jullius[12], den der hertzog Anthon Ulrich wider in roman ahngefangen hatt; er sagte mir aber in seinem letzten schreiben, daß I. L. selten dran arbeytten, haben keine zeit darzu …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 3. April 1710 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 242–244
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0723.html
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