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Brief vom 17. August 1710

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


733.


[253]
Versaille den 17. Augusti 1710.
… Ich habe von hertzen gelacht über die schöne predigt vom dorffpfaff[1]; mich wundert, daß E. L. nicht auch curiositet gehabt haben, den eloquenten pfaffen zu hören. Aber ich finde seine apostrophen ein wenig zu hart; man kan ihm woll ein wenig verzeyen, aber gegen hertzog Anthon Ulrich den respect zu fehlen, das verdinte härter straff alß gelt, darauff, deücht mir, hette man ihm die cantzel verbietten sollen … Ich admirire die providentz, ein miracle ahn einen lutherischen ort zu bringen, damitt arme altte weiber zu leben bekommen mögen; aber hertzog Anthon Ulrich hette ich woll mein leben nicht vor so einfaltig gehalten, ahn solche albere sachen zu glauben, undt glaube viel mehr, daß er es auß divertissement gethan hatt. Ich bin persuadirt, daß, wenn man einmahl todt ist, weiß man nichts mehr von dießer weldt, denn sonsten könte man ohnmöglich der menschlichen schwachheit undt passionen erlediget sein; undt könte man noch part nehmen in was in dießer weldt geschicht, könte man weder in der höllen ohne freüde, noch im himmel ohne leydt sein; daher schließe ich, daß man sich nichts mehr wirdt von dießer weldt erinern können undt gantz ein andere sach undt weßen sein. Drumb auch laß ich alle heylligen in ihrem glück undt plage sie nie umb nichts, halte auch vor eine rechte schwachheit, wenn mans thut … Des duc de Bery apanage ist noch nicht reglirt; chargen besitzen les enfants de France nicht, aber sie bekommen große pensionen, ihr hauß zu unterhalten, undt ihre gemahlinen auch à part vor das hauß, das ist nicht im apanage gerechnet. Ich vor mein theil wolte lieber ein reicher regirender reichsgraff sein mitt seiner freyheit, alß ein enfant, denn wir seindt in der [254] that nichts anderst alß gecronte sclaven; ich were erstickt, wenn ich dießes nicht gesagt hette. … Der cardinal de Bouillon war von des Königs wegen zu Rom, so konte er ja nicht weniger thun, alß des Königs befehl nachzukommen, aber offendtlich, im schein des Königs befehl gegen den ertzbischoff von Cambray[2] zu volziehen undt heimblich dagegen zu thun ist nicht erlaubt, undt es ist dem König so zu sagen ein affront, daß sein eygener premier ausmonier undt ambassadeur mitt ihm umbgeht wie mitt einem kindt. Da hatt ja der König ursach, böß über zu sein, denn war er so sehr mons. de Cambray freündt, konte er den König woll bitten, keine befehl gegen seinen freündt zu geben; aber den König, der sein herr ist, in alles zu betriegen, das lest sich nicht ungestrafft thun. Der duc de Bouillon[3] hatt nie nichts alß schaden von seinem bruder, dem cardinal, gehabt; er hatt ihn abscheülich betrogen, weillen er seinen zweyten bruder, den comte d’Auvergne[4] lieber hatte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 17. August 1710 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 253–254
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0733.html
Änderungsstand:
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