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Versaille den 17. Augusti 1710.
… Ich habe von hertzen gelacht über die schöne predigt vom
dorffpfaff
[1]; mich wundert, daß E. L. nicht auch curiositet gehabt haben, den
eloquenten pfaffen zu hören. Aber ich finde seine apostrophen ein wenig
zu hart; man kan ihm woll ein wenig verzeyen, aber gegen hertzog Anthon
Ulrich den respect zu fehlen, das verdinte härter straff alß gelt, darauff,
deücht mir, hette man ihm die cantzel verbietten sollen … Ich admirire die
providentz, ein miracle ahn einen lutherischen ort zu bringen, damitt arme
altte weiber zu leben bekommen mögen; aber hertzog Anthon Ulrich hette
ich woll mein leben nicht vor so einfaltig gehalten, ahn solche albere sachen
zu glauben, undt glaube viel mehr, daß er es auß divertissement gethan
hatt. Ich bin persuadirt, daß, wenn man einmahl todt ist, weiß man nichts
mehr von dießer weldt, denn sonsten könte man ohnmöglich der menschlichen
schwachheit undt passionen erlediget sein; undt könte man noch part nehmen
in was in dießer weldt geschicht, könte man weder in der höllen ohne freüde,
noch im himmel ohne leydt sein; daher schließe ich, daß man sich nichts
mehr wirdt von dießer weldt erinern können undt gantz ein andere sach undt
weßen sein. Drumb auch laß ich alle heylligen in ihrem glück undt plage
sie nie umb nichts, halte auch vor eine rechte schwachheit, wenn mans thut …
Des duc de Bery apanage ist noch nicht reglirt; chargen besitzen les
enfants de France nicht, aber sie bekommen große pensionen, ihr hauß zu
unterhalten, undt ihre gemahlinen auch à part vor das hauß, das ist nicht
im apanage gerechnet. Ich vor mein theil wolte lieber ein reicher regirender
reichsgraff sein mitt seiner freyheit, alß ein enfant, denn wir seindt in der
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that nichts anderst alß gecronte sclaven; ich were erstickt, wenn ich dießes
nicht gesagt hette. … Der cardinal de Bouillon war von des Königs wegen
zu Rom, so konte er ja nicht weniger thun, alß des Königs befehl
nachzukommen, aber offendtlich, im schein des Königs befehl gegen den ertzbischoff
von Cambray
[2] zu volziehen undt heimblich dagegen zu thun ist nicht erlaubt,
undt es ist dem König so zu sagen ein affront, daß sein eygener premier
ausmonier undt ambassadeur mitt ihm umbgeht wie mitt einem kindt. Da
hatt ja der König ursach, böß über zu sein, denn war er so sehr mons. de
Cambray freündt, konte er den König woll bitten, keine befehl gegen seinen
freündt zu geben; aber den König, der sein herr ist, in alles zu betriegen,
das lest sich nicht ungestrafft thun. Der duc de Bouillon
[3] hatt nie nichts
alß schaden von seinem bruder, dem cardinal, gehabt; er hatt ihn abscheülich
betrogen, weillen er seinen zweyten bruder, den comte d’Auvergne
[4] lieber hatte.