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Brief vom 5. Juli 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


764.


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Marly den 5. Julli 1711.
… Es ärgert mich, wenn ich höre, daß unßere Teütschen ihre alte braüche gantz endern. Ich habe noch mehr von der Spanier devotion hören sagen: wenn sie einen zum hanrey machen, ist es nie ohne das patternoster in händen zu haben undt dran zu betten. Fanchon Moreau[1], wenn sie einen amant im bett liegen hatte, mitt welchem sie die nacht zubringen wolte, ging vorher zu einem Marienbildt, das sie im hauß hatte, zundete zwey cierge davor ahn, kniete nieder undt ehe sie sich legte, recittirte sie l’office de la vierge. Alle spanische prister seindt coupler, wie mein sohn sagt … Ich weiß nicht, waß vor eine rage man hatt, die Jansenisten zu verfolgen; viel wackere undt ehrliche leütte sindt dadurch in unglück gefahlen. Man hatt mons. de Cambray[2] nicht accusirt, ein Jansenist zu sein, sondern ein pietist[3]. Ich habe ihn allezeit vor einen ehrlichen, verständigen mann gehalten; er ist heßlich von person, hatt nur die hautt auff den knochen undt gar holle augen, aber er ist gar ahngenehm in conversation, [hat] eine große vivacitet, [ist] sehr höfflich undt poli, auch lustig, lacht undt schwetzt gern ohne façon; mir hatt er woll gefahlen. Man hört kein wort mehr von mad. Guion[4]; die habe ich nie gesehen, soll sehr ahngenehm sein. Bey [280] hoff meint man nicht, daß des bischoff von Cambray glauben ursach sey, daß er nicht nach hoff kompt, sondern weillen er den König in dem glauben bestedigt, daß man ohne sünde einen unbilligen heüraht verhehlen könte, welches nicht allen menschen soll gefahlen haben, undt man deßwegen die historie von mad. Guion soll zum pretext genohmen haben undt ihn durch feux mons. de Meaux[5] poussiren laßen.
Ich glaube nicht, daß Delmenhorst nie gelößet wirdt werden[6]; wenn I. L. der Churfürst so fort fahren will, dero länder zu vergrößern, so werden sie sich baldt zum König machen können, wie der König in Preüssen; könte auch sagen dabey wie Scanarelle: je n’ay jamais eu d’auttres lissences[7] alß wie jener, umb docktor zu werden …
Wo hatt die Königin in Preüssen[8], die doch eine gebohrne hertzogin von Mecklenburg ist, gelehrnt, bürgerlich zu reden? ist vielleicht viel mitt cammermägt undt gemeine leütte umbgangen. Sie jammert mich, weillen ihr herr sie nicht mehr leyden kan.
Mich deücht, hertzog Johan Friderich[9] war ein gutter herr, seine leütte hatten unrecht, ihn außzulachen, erstlich weillen es ihr herr war undt zum andern war er auch mehr zu bejammern alß außzulachen, denn es war das schmertzhaffte undt schlimbste vor ihn, jalous zu sein. Ich aber wolte lieber bey tigern undt lewen wohnen, alß bey einem jalousen mann. Die Keyßerin[10] ist auch zu beklagen, denn I. M. müßen unerhört gelitten haben, denn der Keyßer[11] war gar galant, umb nicht desbauchirt zu sagen, undt hatt die arme Keyßerin greülich leiden machen …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. Juli 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 279–280
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0764.html
Änderungsstand:
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