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Brief vom 10. Oktober 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


772.


[288]
Marly den 10. October 1711.
Ich sehe, daß E. L. es nicht machen, wie ich, wie ich noch zu Heydelberg undt Manheim war, denn ich ging viel lieber in die teütsche alß frantzösche kirch, denn unßere teütsche psalmen seindt ohne vergleichung schönner, alß Marot[1] seine. Wenn man die frantzöschen singen hört, meindt man, man leße Amadis de Gaule; dießes alte frantzösch wirdt hir nur in ridicul gebraucht, aber die teütschen psalm haben gar nichts ridicules, sondern seindt in gutt teütsch. Was mich auch noch in der frantzöschen kirch choquirt, war, wenn die kinder auff allerhandt thohn die 10 gebott daher sagen: tu ne tueras point, tu ne deroberas point etc. undt das mitt so unterschiedenen stimmen, daß es gantz poßirlich [war]; das war auch nicht in der teütschen kirch. Wenn es erlaubt were, den predigern zu andtwordten, hette man dießem, so E. L. gehört, sagen können: die störcke wißen, in welch landt sie ziehen, aber wir armen menschen wißen nur, wo wir sein, aber gar nicht, wo wir hin werden; also gar kein wunder, daß wir nicht so groß empressement undt eyll haben, weg zu ziehen, alß die störcke. Undt ich glaube, daß, wer den herrn pfarer bey dem wordt genohmen hette, umb in jene weldt zu gehen, würde er es in gnaden abgeschlagen haben. Jedoch so ist es doch wahr, daß etliche mitt freüden sterben …
L’abbé de Bouquoy[2] hatt mir geschrieben, aber wie kan ich vor ihn reden? Ich weiß seine sache nicht undt habe mein leben nicht davon gehört; seinen oncle, den conte de Buquoy habe ich auch nie gesehen, aber woll von dem nahmen gehört. Wenn jemandts in die bastille gesetzt [wird], weiß es kein mensch weder bey hoff noch in der statt. Es ist noch woll wunderlicher: ein mensch ist lange jahre in der bastille geseßen, der ist [289] masquirt drin gestorben; er hatte alß zwey mousquetirer auff beyder seydt, im fall er die masque abthet, ihn gleich nieder zu schießen. Er hatt masquirt geßen undt geschlaffen. Es muß doch etwaß rechts geweßen sein, denn man hatt ihn sonst sehr woll tractirt, woll logirt undt alles geben was er begehrt hatt. Er hatt masquirt comunicirt, war sehr devot undt hatt continuirlich geleßen. Man hatt sein leben nicht erfahren können, wer der mensch geweßen[3]
Es were mir recht leydt, wenn das beylager[4] nicht zu Braunsweig gehalten würde undt E. L. dieße verenderung nicht haben solten. Ich hatte gehofft, daß der Czaarwitz sein monacalisch leben bey dem gutten hertzog verliehren [würde], aber wie ich sehe, so ist es ärger alß nie. Mich wundert, daß, weillen der Czaarwitz[5] selber nicht aberglaübisch ist, wie er seinem sohn leydt, so gar mönchisch zu leben. Er solte ihn auffrichten undt von dem aberglauben desabusiren, denn da kan ja sein leben nichts guts auß kommen, denn von mönchen kompt nie nichts guts, contrairie sie verderben alles. Weillen des Czaar jetzige gemahlin[6] nur ein corporalsfraw ist, ist sie woll gewondt, im krieg zu sein, also kein wunder, daß sie ihrem herrn in der schlagt gefolgt hatt. Es muß doch den damen von qualitet schmertzen, einer so gar geringen person auffzuwarten. Ich fürchte, der Czaarwitz sey schon nicht jung genung mehr, umb sich sein monacalisch gewohnheit abzugewehnen, doch ist zu hoffen, daß, wenn er eine gemahlin im bett wirdt haben, daß er alßdan lenger drin bleiben wirdt, denn da halten die mönchen auch viel von.
Solte der nontzius zu Franckfort unterfangen was er sich berümbt, würde der graff von Donnau[7] woll thun, ihm zu geben was er ihm verspricht, [290] undt könte man ihm sagen wie in Tartuffe: Monsieur Loyal, quelque coup de baton ne vous seroit pas mal[8]. Es kan nicht schaden, daß man dem nontzius ein wenig mores lehrnt. So machens die Ittalliener, wenn man sie fürchten macht, seindt sie höfflich, undt insolent, wenn man sie fürcht.
König Carls gemahlin ist zu beklagen, nicht in Teütschlandt reißen zu dörffen[9] undt bey den Cataloniern zu bleiben, so etlich mahl dolle köpffe sein. Mons, de Vandosme hatt sein bestes gethan, den graff Starenberg zu einer schlagt zu locken; der graff hatt aber nicht gewolt, sondern hatt sich ins gebirg gezogen …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. Oktober 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 288–290
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0772.html
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