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Brief vom 5. Dezember 1711

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


777.


[296]
Versaille den 5. December 1711.
… Man sagt, daß die catholischen noch ahn etlichen ortten die bibel nicht leßen dörffen, aber zu Paris ist es gantz erlaubet. Wie ich in Franckreich bin kommen, war es noch die mode, die bibel nicht zu leßen, hernach aber kam es auff einmahl; wie es zugangen, habe ich niemahlen erfahren können. … Man fengt schon ahn hir, die Königin in Engellandt zu sagen, ahn die pasport ligt es nicht mehr. Vivacitet ist artig in conversation, aber zu dem lebenslauff muß vernunfft dabey sein. Ich bin fro, daß general Schullenburg E. L. den abbé Bouquoy[1] zugeführt hatt, denn ich weiß, daß er E. L. divertirt, welches E. L. in Dero wildtnuß von der Gher[2] woll von nöhten haben; vor seine vers auff die graffin Cossel sage ich gehorsamen danck.
Ich muß gestehen, es wundert mich unerhort, daß die Czaarwitzin[3] nach Moscau eyllt undt nicht scheüet, alle die ihrigen zu verlaßen. Wie ich von dem Czaarwitz höre, gefehlt er mir gar nicht; ein bruch noch dabey zu haben, ist zu arg. Die printzes von Wolffenbüttel muß groß courage haben, vatter, mutter undt großherrvatter zu verlaßen undt in so ein wildt landt zu ziehen, wo, wie ich gehört, die damen sehr eingezogen gehalten werden; undt dießer pfaffische herr wirdt woll nichts drein gehen laßen. Ich fürcht, dieße printzes wirdt nicht glücklich sein. Es ist mir auch leydt, daß E. L. nichts von dem beylager gesehen haben. Hatt der Czaarwitz nie geritten? wovon kompt ihm dan der bruch? Es seindt wenig männer, die nicht dergleichen unglück haben, aber nicht so jung wie der Czaarwitz. Ich hatte nicht gewust, daß hertzog Johan Friderich[4] auch ein bruch gehabt hatt, aber ich wuste woll, daß er seinen bauch in einer schlungen getragen hatt …
Das contrefait, so der hertzog Anthon Ulrich mir vom Czaar schickt, scheindt viel alter, alß seine jahr es mitt sich bringen solten; in dem kupffer wie auch in dem ovalen contrefait ist er viel schönner. Er tregt auch nun seinen bart viel heßlicher, alß damahlen; er tregt ihn in dießer miniatur wie eine bradtwurst vor das maul; das stehet sehr übel …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. Dezember 1711 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 296
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0777.html
Änderungsstand:
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