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Brief vom 10. März 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


787.


[304]
Versaille den 10. Mertz 1712.
… Ich zweyffle nicht, daß E. L. selber erschrecken werden, zu leßen, wie das unglück hir continuirt. Die docktoren haben wider denselben fehler begangen wie ahn mad. la dauphine, denn wie der kleine dauphin[1] schon gantz rodt von den rodtlen war undt schwitzte, haben sie ihn zur ader gelaßen, hernach l’emetique geben, undt in der operation ist das arme kindt verschieden. Undt was woll weist, daß die docktoren dießen dauphin auch umbs leben gebracht haben, ist, daß sein brüdergen[2] eben dieselbe kranckheit hatt, undt weillen die 9 docktoren mitt dem elsten occupirt waren, haben sich des jüngsten magt mitt ihrem printzen eingespert undt haben ihm ein wenig wein mitt biscuit geben; gestern, weillen das kindt das fieber starck hatte, haben sie ihm auch zur ader laßen wollen, aber mad. de Vantadour[3] undt des printzen sousgouvernante, mad. de Villefort[4], haben sich den docktoren starck widersetzt undt es durchauß nicht leyden wollen, haben ihn nur hübsch warm [gehalten]. Dießer ist gottlob durch der docktoren schandt salvirt, were gewiß auch gestorben, wenn man die docktoren hette gewehren laßen. Ich muß E. L. auch noch klagen die abscheüliche boßheit von den leütten hir: ob mein sohn zwar weder von weittem noch von nahe, noch keiner von seinen leütten, jemahlen zu dießem kindt kommen, sagt man doch jetzt offendtlich, er hette den jungen dauphin auch vergeben, laße aber den jüngsten noch leben auß forcht, daß der König in Spanien wider herkommen mögte, weillen der König in Spanien meinen sohn hast. Gestern haben glaubwürdige leütte gehört: qu’on laisse mourir aussi le petit duc d’Anjou afin que le Royaume ne demeure pas apres le Roy en minorité; solche [305] insolentien hört man in keinem landt, alß hir. Ich kan nicht gedencken, wie sich die docktoren nicht selber corigirt haben, wie sie gesehen, daß ihr aderläß undt hemetique so übel bey mad. la dauphine abgeloffen war, wie sie das hertz gehabt haben, dieß arme kindt ebenso umbzubringen; undt was mich erschreckt, ist des Königs verblendung ahn dießen leütten; er meint nicht, daß es ihre schuldt ist, daß mad. la dauphine gestorben … Unßer König soutenirt sein unglück mitt solcher bestandigkeit undt fermeté, daß ich I. M. nicht genung admiriren kan. Man kan mitt warheit sagen, daß außer mad. de Maintenon verliehrt der König alles was er in dießer weldt ahm meisten geliebt hatt, undt ahn mad. la dauphine seine eintzige lust undt freüdt … Alles guttes kompt von Gott; wir arme menschen konnen nichts; allezeit content kan man nicht sein, aber woll allezeit suchen sich in den willen Gottes zu ergeben. Vor E. L. gnädigen wunsch, daß ich allezeit content mag sein, sage ich gehorsamen danck, allein so lang der hoff so ungerecht vor meinen sohn ist, ihn vor einen vergiffter zu halten, kan ich nicht woll content sein, aber ich hoffe, daß Gott der almachtige, der seine unschuldt weiß, sie ahn tag geben wirdt undt seine leichtfertige feindt straffen …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. März 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 304–305
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0787.html
Änderungsstand:
Tintenfass