Seitenbanner

Brief vom 14. April 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


794.


[311]
Marly den 14. Aprill 1712.
[1] Man kan Humberg[2] nicht kennen ohne ihn zu estimiren durch den netten geist, so er hatt, gar nicht ambrouillirt, wie die gar gelehrten ordinarie sein, auch nicht gravitetisch, sondern allezeit lustig; alles was er weiß, auch die schwerste künste, seindt bey ihm wie eine badinery, alß wenn er mitt spilte undt poßen treibt, lacht sich alß selber auß; er hatt eine sanffte stimm undt spricht sehr langsam, aber er explicirt sich recht woll. Wißenschafften, das kompt meinem sohn recht zu undt felt in sein naturel, aber wenn er le drole agiren will, mögte man sich drüber übergeben, so übel stehet es ihm ahn, undt die junge leütte, seine dochter selbst, lacht ihn drüber auß. Aber das hilfft alles nichts; mein sohn ist eben wie die märger von den féen, die man zur kindttauff bitt: eine wünscht dem kindt, daß es woll geschaffen mag werden, die andere, daß es eloquent mag sein, die dritte, daß es alle künste lernen mag, die vierte, daß es die exercitien lernen mag, fechten, reytten, dantzen, die fünffte wünscht ihm die kriegskunst woll zu lehrnen, die sechste: mehr hertz zu haben alß ein anderer, die 7. fée aber hatt man vergeßen zur kindttauff zu laden, die sagt: ich kan dem kind nicht nehmen was meine schwestern ihm geben haben, aber ich will ihm all mein leben so widerstehen, daß alles was man ihm guts geben, ihm zu nichts dinen soll, ich will ihm so einen heßlichen gang geben, daß man meinen soll, er werde hinckendt undt buckelicht, ich will ihm so einen schwartzen bart waxen laßen undt ihm dabey revirende grimassen geben, die ihn gantz verstellen sollen, ich will ihm alle exercitien verleyden, ich will in ihm eine langeweille setzen, so ihm alle seine künste verleyden soll, musiq, mahlen, reißen, ich will ihm die lieb der einsambkeit undt abscheü vor ehrliche leütte geben. Ich will ihm offt unglück im krieg geben, ich will ihm weiß machen, daß die desbauche ihm woll stehet, ich will ihm abscheü vor seiner besten freünde raht geben, damitt wirdt alles guts verdorben werden, so meine schwestern ihm geben. So ist es just ergangen undt das macht, daß er lieber bey seiner dochter undt ihre cammermädger sitzt, albere possen ahnzuhören, alß mitt rechtschaffene leütte umbzugehen oder sein eygen hauß zu regiren, wie sein standt erfordert. Da wißen E. L. nun den handel gantz …
Der König tractirt mein sohn woll, das macht mich hoffen, daß die lügen keine impressionen bey I. M. gethan haben. Von sich selber ist mein [312] sohn kein ivrogne, aber er hantirt offt gar schlime geselschafft undt meint, es seye artig, le bon drolle mitt ihnen zu agiren undt seüfft sich sternsvoll mitt ihnen, undt wenn er einmahl voll ist, weiß er in der welt nicht mehr, was er sagt noch thut. Ich habe ihn taußendtmahl gebetten, mitt dießen vollseüffern kein commerce zu haben, aber je mehr ichs verbotten, je mehr hatt er es gethan, drumb habe ich die parthie genohmen, ihm gar nichts mehr davon zu sagen, alß nun, da habe ich nur gesagt: hettet ihr meinen gutten raht nicht so veracht undt gefolgt, weret ihr nicht in den ambaras, wo ihr nun seidt. Er gestehts, aber es ist ein wenig zu spät, hette es vorher betrachten sollen. Dem König werde ich des Czaars beylager[3] nicht vorbringen, sage E. L. aber doch demütigsten danck, mir [den bericht davon] geschickt zu haben, denn es hatt meinen sohn undt mich sehr divertirt, aber wenn man es dem König vorgeleßen hette undt es herauß kommen were, wie ungleich der heüraht ist, hette ich gefürcht, man würde gedacht haben, ich spreche hirvon, umb I. M. die würm auß der naß zu ziehen, welches nicht würde gefahlen haben; man kan sich hir nicht genung vorsehen …
Were der fürst von Ahnhalt[4] kein naturlicher seüffer, were er in keine dispütte kommen. Mich deücht, es were kein großer schadt, wenn der printz von Anhalt sterben solte; mich deücht, der König in Preüssen solte seinem Erbprintz die geselschaft vom printzen von Anhalt verbieten, da kan er nichts alß brutalitet von lernen: schlimme geselschaften verderben gutte sitten
Ich finde es gantz ungereimbt von der Königin Anne, E. L. vor ihre erbin zu declariren ohne die pension, so sie selber gehabt hatt; ich hoffe noch, daß sie kommen wirdt, denn E. L. thun überall so viel guts, daß ihnen dieße pension woll käme. E. L. haben recht, altesse Royal ist nun sehr gemein undt gemeiner alß I[hre] Ch[urf.] Durchl[aucht]. Mich wundert, daß die hertzogin von Zel[5] ihre enckeln nicht offt sicht, denn es ist ihr ja ehre genung, solche enckeln zu haben; daß sie woll christlich undt eingezogen lebt, hirin finde ich sie sehr löblich …
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 14. April 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 311–312
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0794.html
Änderungsstand:
Tintenfass