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Brief vom 21. Mai 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


797.


[314]
Versaille den 21. May 1712.
… Ob das alte weib zwar unßere ärgste feindin ist, wünsche ich ihr doch des Königs wegen ein langes leben, denn alles würde noch 10 mahl ärger sein, wenn der König nun sterben solte. Er hatt das weib so erschrecklich lieb, daß er ihr gewiß nachsterben würde, wünsche also, daß sie noch lange jahre leben mag. Ich bitte E. L., mir nicht auff dießen brieff zu andtworten. Was mons. le duc de Berry ahnbelangt, so were er eben nicht so gar einfeltig, wenn man ihn nicht so gar ignorant ertzogen hette, aber er weiß nichts in der welt, kaum wer er selber ist, undt ist dabey sehr opiniatre, aber recht verliebt von seine gemahlin[1], welche es aber leyder nicht von ihm ist, undt ich fürcht, daß, ob sie sich zwar beßer helt alß sie noch gethan, daß sie doch coquet sein wirdt, die pente ist zu groß dazu undt bon chien chasse de rasse[2]; ihre fraw mutter[3], mitt aller ihrer gravitet, ist doch nie ohne affairen, aber man muß die rechte warheit sagen, sie gouvernirt sich woll dabey undt sie wirdt nie keinen esclat machen; gantz Paris meint, daß sie eine vestalin seye, aber ich, die die sach näher sehe, weiß woll, was dran ist. Sie lebt woll mitt mir undt ich hütte mich auch, ihr den geringsten chagrin zu verursachen, undt rahte meinem sohn, woll mitt ihr zu leben, denn wozu solte ein esclat nutzen, der König würde vor sein dochter sein undt mein sohn müste sie mitt dem esclat behalten, ist also beßer, sich nichts mercken zu laßen undt woll mitt einander zu leben. Das wirdt sie obligiren, meinen sohn allezeit bey dem König zu dinnen undt vor ihn zu sprechen. In dießen puncten folgt mein sohn meinem raht undt befindt sich woll dabey, im übrigen so seindt mons. le duc du Maine[4] undt mad. la duchesse[5] die ambitieuste creaturen von der welt, die suchen alles möglichste hervor, in faveur zu kommen, undt weillen der duc Dantin[6] gar sehr in faveur ist, seindt die zwey allert, dem Dantin ihren halbbruder einander abzuspannen, lieben sich also gar nicht. Mad. d’Orleans undt mad. la duchesse haßen sich auch wie den teüffel, denn mad. la duchesse wolte, daß mons. de Bery eine von ihren dochtern heürahten solte, undt kan ihrer schwester nicht verzeyen, daß ihre dochter den vorzug gehabt hatt, undt itzunder sucht sie mad. d’Orleans ihren liebsten bruder[7] abzuwenden, welches wider eine neüe jalousie gibt. So ist der innerliche hoff nun bestelt. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 21. Mai 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 314
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0797.html
Änderungsstand:
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