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Brief vom 9. Juni 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


799.


[315]
Marly den 9. Juni 1712.
… Wenn alle menschen die christliche religion so woll wüsten undt verstünden, alß E. L., hette man nicht nöhtig; viel zu predigen. Man hört jetzt die predigt spätter zu Hannover, alß zu meiner zeit, denn da ging man morgendts umb 10 in die kirch undt nachmittags umb 2 uhr. Die menschen haben unßern Herrgott nicht allezeit divertirt, denn vor der sündtfluht sagt Moses auch hette alles fleisch seinen weg verderbt[1], so daß es Gott gereütte, die menschen geschaffen zu haben; aber die ihn geliebet undt geehret haben undt sein gebott gehalten, wie E. L., die hatt er auch mitt ihr geschlegt erhalten, wie Noé. Gott recomandirt so sehr in der heyligen schrifft, daß man sich hüten solle, ärgernuß zu geben, daß ich mich davor hüte, so viel mir möglich ist, undt suche zu thun was man hir vor gutt exempel helt. Ich wolte alß gern, daß große herrn genereux weren undt lieber guts ahn leütte von qualitet theten, alß ahn viel placksmeißer[2], so es nicht meritiren undt nur dinen, die unterthanen zu schinden.
[316] Herr Leibenitz ist in gantz Franckreich estimirt; man helt ihn vor den gelehrtsten mann von gantz Teütschlandt. Ich habe E. L. letztmahl ein groß paquet vor ihn von einem hießigen gelehrten geschickt …
Der engelisch gruß ist nur ein compliment undt keine ahnbetung, welches aber in meinem sinn ein unnohtig compliment ist. Made de Fiene[3] verzehlte, daß einsmahl in einem closter der abt einem jungen mönchen vorgeworfen undt sehr gezürnt, daß er sein patternoster nicht genung bete. Der mönch sagt nichts, stelt sich aber ahn ein ort vom closter, wo der abt offt vorbey gehen muste; das erste mahl, wie er vorbey ging, sagte der mönch: Bon jour, mon pere, je vous salue; Je vous remercie sagte der abt; der mönch continuirte 10 oder 12 mahl, der abt wurde ungedultig undt sagt: Eh fy, quelle importunité est cela; der mönch nicht faul sagte: Si vous vous trouvés importuné de ce que je vous ay salue 10 fois, voyés ce que la sainte vierge doit estre de ce qu’on la salue par millier de fois. Seyderdem sagte der abt nichts mehr von patternoster beten …
Ich fürchte, der König in Schweden[4] wirdt endtlich zum narren werden; er ist zu rachgirig, das kan ihm kein glück bringen undt solte den Türcken schlegte opinion vom christlichen glauben geben, denn sie werden nicht gedencken können, daß ein solcher braffer König die christliche religion so wenig folgt, insonderheit da er doch vor devot passiren will. Das ist alber vom papst, daß er will, daß der hertzog von Braunsweig[5] seine dochter[6] zwingen soll, catholisch zu werden, die den Czaarewitz hatt. Was geht den papst das ahn, wenn nur ihr herr mitt zufrieden ist. Aber der hertzog sagt gar recht: der papst will die naß in alles stecken undt contentirt sich nicht, die handt zu haben, sondern will alles. Aber da ist der gutte hertzog zu schlau, hoffe ich. Ich weiß nicht, ob die Czaarwitzin des ertzbischoffs von Paris weingartten[7] verdint hatt, aber ich kans nicht glauben, denn wie E. L. wißen, so muß man ein gantz jahr sein, ohne sich zu gerewen, geheürahtet zu sein …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 9. Juni 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 315–316
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0799.html
Änderungsstand:
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