Seitenbanner

Brief vom 6. Mai 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


835.


[346]
Marly den 6. May 1714.
… Ich habe E. L. vergangen Donnerstag leyder nur gar zu wahr gesagt, daß der arme duc de Berry nicht davon kommen könte, denn der arme herr ist vergangenen Freytag umb 4 morgendts verschieden[1]; hatt geredt biß 3 viertelstundt vor seinem endt, ist mitt großer fermeté gestorben, hatt nur bereüet, ahn seinem eygenen todt schuldig zu sein, undt beklagt, daß er seine gemahlin nicht noch einmahl vor seinem endt sehen können, hatt biß ahn sein endt große consideration vor seinem großherrvatter, dem König, erwießen, denn alß man ihm andeütte, ob er nicht wolle le viatique undt extreme onction entpfangen? andtworte er: ouy, tres volontier, mais que ce ne soit qu’apres le couche du Roy, pour luy espargner ce triste [347] spectacle, qui pourroit le trop toucher. Es wurde ihm aber übel, da sagte I. L. s[eelig]: non, ne recullons rien, je vois que cela presse. Der König hatt das h. sacrement selber geholt, wir [waren] alle bey dießer trawerigen ceremonie, so 3/4 stundt wehrt. Man kan nichts betrübters erdencken, das hertz berst einem dabey. Anderthalb stundt vorher gingen mad. d’Orleans undt ich zu ihm; der arme herr meinte auß aller gefahr zu sein, sagte mir mitt lachen: pour asteur[2], Madame, je crois vous pouvoir dire, que je suis sauvé, je n’ay plus de fievre et ne sens plus de mal, rieff lautt: donnés une chaise à Madame et un siege à mad. d’Orleans, causons là. Ich andtworte: non, de parler pourroit vous ramener la fievre, ne parlés pas tant. In wehrender reden kam ihm ein starck schlucken ahn, sprach mitt mühe, weillen er kaum athem hollen konte. Mad. d’Orleans meinte, es were wahr, daß er außer gefahr were, war gantz verwundert, mir im ’nauß gehen die threnen in den augen zu sehen … Der arme duc de Bery hatt kurtz vor seinem endt gestanden, daß er selber schuldig ahn seinem todt ist, denn Donnerstag vor 8 tag, wie er im walt jagte, war es glatt, denn es hatte ein wenig geregnet; sein pferdt glitzschte mitt den fordern füßen, er erhilte es mitt macht, daß das pferdt sich mitt solcher macht erhilt, daß der sattelknopff dem duc de Bery zwischen die brust undt magen stieß, wovon er gleich einen großen schmertzen empfundt, sagte aber nichts. Nachts ging das helle bludt von ihm, er verbott aber dem cammerknecht, kein wordt davon zu sagen. Er meinte, die rohte ruhr käme ihm ahn, wolte es nicht sagen auß furcht, man mögte ihm viel brauchen; meinte, es würde von sich selber vergehen. Freytags fing er ahn übel zu werden, sagte, es käme nur von einem durchlauff; Sambstag ging er auff die jagt … Er hatte alle aparentz von einem gifftigen fieber, naßblutten, schläffrig sein, übergeben undt ein abscheülich fieber, so ihm Montags umb 4 morgendts ahngestoßen. Er wolte mitt auff die jagt, mons. Fagon[3], der alleweil bey mir geweßen, sagt, daß, sobaldt das schwartze, harte gerunen bludt were vom duc de Bery gangen, were schon kein mittel mehr geweßen, denn da hette er schon den kalten brandt im leib gehabt … Man hatt den todten cörper gleich nachmittags au Thuillerie geführt, wo alle ceremonien geschehen sollen. Selbigen Freytag fuhr ich nach Versaille zu der armen duchesse de Bery, die ist woll zu erbarmen, denn sie hatt verstandt genung, umb all ihr unglück undt verlust zu begreiffen, hatt mich recht von hertzen weinen machen; von das glückseligste mensch wirdt sie das unglückseligste werden, wenn sie keinen sohn bekompt; sie glaubt festiglich, daß sie nur eine dochter bekommen wirdt. Ich muß eine pause machen, denn da kommen alle meine leütte, der conseiller d’estat mons. de Foucault[4], Baudry mein intendant undt secretaire, [348] mons. le Roy mein advocat; diß alles ist, umb die gantze trawer zu ordiniren. Ich solte billig nicht trawern, weillen es mein enckel ist, aber weillen er doch nach dem rang nach dem dauphin der erste vom hauß ist, so trawere ich comme mon aisné. Die trawer wirdt 6 mont wehren, alß wie der gantze hoff vor Monsieur s[eelig] getrawert hatt. …
Auff der fraw von Hagen[5] todt, die so jung gestorben, felt mir ein par vers von dem lutherischen liedt ein, so ich offt habe singen horen undt [wovon ich] noch viel gesetz außwendig weiß[6]:
Es hilfft kein reichtum, gelt noch gutt,
Kein kunst noch gunst noch stoltzer muht.
Für’n todt kein kraut gewacksen ist,
Mein lieber[7] christ,
Alles was lebet, sterblich ist.

Heüt seindt wir frisch, gesundt undt starck,
Morgen todt undt liegen im sarck;
Heütt blühen wir wie roßen rodt,
Baldt kranck undt todt,
Ist allenthalben müh undt noht

Ob Gott will, so wirdt so manche gebett mitt dem meinigen erhört werden undt E. L. noch gar viel jahr schlendern machen. Weren alle E. L. printzen geheüraht worden, würden sie woll so viel enckeln undt uhrenckeln gesehen haben, alß ma tante von Maubuisson s[eelig] geschrieben hatte. Die von der douane freßen undt sauffen mir alles was man mir schickt, sie haben mir hundert bouteillen vom Neckerwein außgesoffen, so der hertzog von Lotheringen mir geschickt hatte, waren vielleicht noch dürstig von den metwürsten, so sie mir gefreßen hatten. Ich klagte es mons. de Chamilliart[8], der ließe sie braff filtzen, also hoffe, daß sie corrigirt werden sein …
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 6. Mai 1714 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 346–348
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0835.html
Änderungsstand:
Tintenfass