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Brief vom 31. Oktober 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


114.


[175]
St. Cloud den 31. october 1720.
… Ich bin fest persuadirt, daß sich die Italienner nur ahnstellen als wenn sie abergläubisch sein; das soll glauben machen, daß sie devot sein, denn wie sie ihr leben keine bibel leßen, so wißen sie die rechte [176] christliche religion nicht, sie haben nur religion nach eines jeden fantasie; umb gar devot zu scheinen, stellen sie sich ahn, alß wenn sie an alle miraclen glaubten. Die frantzöschen catholischen seindt viel raisonabeler. … Der König François premier spatzirt zu Fontainebleau dans la gallerie dulise[1] in einem grünen sammeten nachtsrock undt seine maistres[2] ist gar schön gebutzt mit edelgestein; ich habe oft nachts in dießer gallerie spatzirt, aber der gutte François premier hat mir nie die ehre gethan, sich von mir sehen zu laßen, hat vielleicht mein gebett nicht vor gutt genung gehalten, ihn auß dem fegfewer zu helfen, undt hirin mag er woll recht haben. Dießer arme König ist doch wüst gestorben, denn die vers, so man auf seinen todt gemacht hat, lauten:
François premier mourut à Rambouillet
En l’an mille cinq cent quarante sept
De la verole qu’il avoit.
Das lautt nicht woll. unßere liebe seel. Churfürstin hat mir einmahl geschrieben, daß in Hannover im schloß, wo mein apartement geweßen, jetzunder ein commediensahl ist.[3]
Die ledige pest will noch nicht in Provence aufhören, die wüste kranckheit breyt sich immer weiter auß, undt ich fürchte, daß der abscheüliche geitz undt willen zu gewinnen die pest endlich biß nach Paris bringen wirdt, denn wie alles über alle maßen thewer zu Paris ist undt sie die wahren zu Marseille undt Thoulon jetzt gar wollfeil bekommen können, ist woll zu fürchten, daß die kauffleüte die pest nach Paris bringen werden, denn zum exempel das caffé, so zu Marseille 5 sols kost, wirdt 30 livre zu Paris verkauft, undt alle andern wahren so nach proportion. Also wolte ich nicht darvor schwehren, daß durch den verfluchten geitz noch manch unglück geschehen wirdt. So gutte ahnstalt man auch thun mag, so seindt wenig hir im landt, so sich nicht bestechen undt durch den gewinst locken laßen. So gott ein landt straffen will, muß sich alles dazu schicken, hunger, krieg undt pest folgen einander ordinarie, undt zu Paris lebt man nicht from genung, umb hoffen zu können, daß unß gott verschonen wirdt. Ich fürchte die pest [177] nicht, erwarte also ohne angst, waß drauß werden wirdt; ich sage von hertzen amen zu dem gottseligen wunsch, so Mons. Harling vor die thut, so sterben müßen. Das ist woll ohnmöglich, daß Mons. Harling in seinem jetzigen alter dieselbe stärcke haben kan, so er in der zeit gehabt, wo ich ihn 3 kerls auf einmahl habe tragen sehen undt ihn so leicht über die taffel habe voltigiren sehen. … Ich habe lachen müßen, daß Mons. Harling noch gern hübsche junge medger sicht, das geht nach dem alten sprichwordt: Jung gewohnt, alt gethan.[4] … Es ist in meinem sinn eine wüste, verdrießliche sache mit den bancken; man hat mir vor 3 tagen gesagt, daß man sein leben zu Paris nicht so viel leütte gefunden, so närrisch geworden undt gantz von sinnen kommen, alß dieß jahr; sie sprechen von nichts alß Mons. Law undt dem Missisippi.[5] In Englandt seindt sie nicht gescheydter: 6 cavaliere, so in der sudsée[6] verlohren, haben sich verdrenckt. Keine nation kan das den Englandern zuvor thun, sich selber so leicht umbs leben zu bringen; sie müßen nicht glauben, daß man durch seine eigen mordthat die seeligkeit verschertzt. … Bißher ist Alberoni noch nicht nach Spanien, aber wie wir alß in meiner jugendt gespilt undt gesungen haben in dem spilgen, so ahnfengt: Da kommen wir gecken undt nonen her, herr domine, herr domine, undt endet: undt waß nicht ist, kan werden wahr, cedé, cedé sancte. Quid nostre domine (?); so kan es mit Alberoni auch gehen. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 31. Oktober 1720 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 175–177
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0114.html
Änderungsstand:
Tintenfass