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Brief vom 14. November 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


115.


[177]
St. Cloud den 14. november 1720.
… Ich komme wider auf des François premier unsauber epitafe. Bey den Frantzoßen muß alles, es mag gutt oder böß sein, entweder in vers gesetzt oder gesungen werden; waß man auf dießes Königs todt geschrieben, ist ein gantz ordinarie dicton, denn wenn jemandts von dießer wüsten kranckheit attaquirt wirdt, undt man fragt, waß ihm fehlt? so sagt man ordinari im lachen: Il est prest à mourir comme le Roy François premier à Rambouillet en l’an 1547 de ce qu’il avoit. François premier hat sich sein leben vor keinen heyligen außgeben, hatte gar einen galanten hoff. Madlle de la Force[1] hat von dießem hoff einen artigen roman geschrieben unter dem tittel von der Reine Margueritte de Navarre[2]; seindt nur 3 kleine tomen in octav, gemachlich zu leßen; die scene ist zu [178] St. Germain undt nicht zu Fontainebleau, also solte François premier eher zu St. Germain nach seinem todt spatziren, alß zu Fontainebleau in der gallerie dulisse[3]. Die Reine mère hatte ein apartement vor sich bey der gallerie dulisse zurecht machen laßen; ihre cammerweiber musten nachts durch dieße lange gallerie gehen, die haben den Roy François in grünem geblümten nachtsrock spatziren sehen. Mir aber hat er die ehre nicht thun wollen, sich zu weißen; ich muß nicht in der geister gnaden stehen; ich hab 10 jahr in der cammer geschlaffen, wo feue Madame[4] gestorben, undt mein leben nichts sehen können. Aber das erste mahl, daß Monsieur le Dauphin[5] drin geschlaffen, ist ihm seine tante, feue Madame erschienen; er hat es mir selber verzehlt: es kam ihm eine noht an, stundt auff undt setzte sich auf einen nachtstuhl, so neben dem bett stundt, undt verrichtete, mit urlaub zu melden, seine nohtdurft. Wie er in voller arbeydt war, hört er die thür, so nach dem salon ging, aufgehen (selbigen abendts war ein großer bal im salon geweßen) undt sahe eine gebutzte dame mit einem braunen kleydt, einem schönen gelben unterrock undt gar viel gelb band auf dem kopf, herein kommen; die hat den kopf gegen die fenster gethrehet, Monsieur le Dauphin meinte, es were die junge duchesse de Foyx[6]; er lachte undt dachte in sich selber, wie dieße dame erschrecken würde, wenn sie ihn da in der niche solte im hembt sitzen sehen, fing derowegen ahn zu husten, umb ihr den kopf undt das gesicht auf seine seytte threhen zu machen, welches dieße dame auch that, aber ahnstatt der Duchesse de Foyx sicht er feue Madame, so eben war, wie er sie das letzte mahl gesehen, aber ahnstatt der damen bang zu machen, erschrak er selber so erschrecklich, daß er mit aller macht zu Madame la Dauphine[7], so schlief, ins bett sprang. Die wurde über seinen sprung wacker, sagte: Qu’avés vous donc, Monseigneur, de sauter ainsy? Er sagte: Dormés, je vous le dirai demain. Den andern tag, wie sie wacker werden, fragte sie ihn, waß ihm denn nachts gefehlt hette, daß er so erschrocken? Er verzehlte ihr seine avanture. Mad. la Dauphine fragte mich, ob ich nie nichts in der cammer verspürt hette? Ich sagte nein. Ich ging zum Dauphin undt fragte I. L., der verzehlt es mir von wordt zu wordt ebenso. Mons. le Dauphin ist all sein leben drauf geblieben, daß dieße historie wahr seye. Waß ich davon geglaubt, daß Mons. le Dauphin, so die gewohnheit hatte, [179] lang auf dem stuhl zu sitzen, auf dem stuhl entschlaffen undt dießen traum gethan, so ihn so erschreckt hat. Es seindt viel leütte so abergläubisch, weilen man sie in ihrer jugendt dazu erzogen hat undt sie so von ihren saugammen von gespenstern gehört haben. Aber das hindert nicht, daß viel schlaue Italliener sich gläubiger stellen, alß sie in der that sein, da gewöhnt sie in Itallien die graußame inquisition zu, undt ein wenig naturliche falschheit lauft auch woll mit drunter. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 14. November 1720 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 177–179
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0115.html
Änderungsstand:
Tintenfass