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Brief vom 4. Juli 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Friedrich v. Harling


148.


[212]
St. Cloud den 4. Julli 1722.
Mons. von Harling. Vorgestern habe ich sein schreiben vom 22. Juni zu recht entpfangen, alß ich eben wieder von Versaille kam, welches mir das hertz so schwer gemacht, daß ich mich nicht zu behelfen gewust, denn ob ich zwar den jungen König undt sein artig bräuttgen undt Infantgen hertzlich lieb habe, so muß ich doch gestehen, daß ich mich nicht gewöhnen kan, überall [213] nichts alß kinder zu sehen undt nirgendt den großen König, den ich so hertzlich geliebt habe. Über die betrübtnuß so war ich auch erschrecklich matt, denn ich bin noch nicht wieder zu meinen kräfften kommen, undt meine cammer ist weit von des Königs apartement undt von der capell. Nach des Königs meß bin ich zu unßer liebes undt artiges Infantgen [gefahren]; es ist woll das artigste kindtgen von der welt. Von der Infantin bin ich in mein kutsch [gestiegen] undt wieder her [gefahren], war aber so matt, daß ich nur ein par wordt ahn die Raugräffin schreiben konte, muste hernach ein stuck brodt eßen, einen drunck Rheinwein thun undt dan zu bett. Ich bin Mons. Harling sehr verobligirt vor den part, so er in meinem jetzt gar ellenden standt nimbt; das kompt woll keinem rauschenplattenknechtgen zu, wie ich geweßen. Waß will man aber thun? in dießer welt endert alles. Da wir jung waren, dachten wir ahn nichts alß lachen, dantzen undt springen, nun kränckeln wir undt beten.
Ich habe nur leyder zu baldt erfahren, daß der König in Englandt nicht nach Hannover [kommen] wirdt, ist mir recht leydt vor alle, die es gewünscht haben. Wenn es nur dem König nicht schadt, diß jahr nicht nach Pirmont reißen zu können, denn es ist gar ein großer unterschiedt, die sawerbrunnen ahn der quelle zu drincken oder sie übers meer zu schicken. Gott sey danck, daß sich printz Friderich[1] jetzt so woll befindt. … Festungen zu stürmen habe ich bey viel hogen leütten gesehen; mein seel. bruder[2] hat sich lang damit divertirt, mein sohn auch in seinen jungen jahren auf der insel, wo er eine schantz gemacht hatte; das hat mich ebenso sehr divertirt, alß ihn. Damahls war ich noch ein Hänßgen frischer knecht[3], nun bin ich eine alte ellende fraw. In welchem standt ich aber auch sein mag, so werde ich doch sein undt bleiben Mons. von Harlings wahre freündin.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. Juli 1722 von Elisabeth Charlotte an Friedrich v. Harling
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann (1895), S. 212–213
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d10b0148.html
Änderungsstand:
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