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Brief vom 26. September 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Gottfried Wilhelm von Leibniz


2.


[020]
Paris den 26 september 1715.
Herr von Leibnitz. Vor zwey tagen habe ich sein schreiben vom 13. dießes monts zu recht Entpfangen; Er hatt woll groß recht zu sagen, daß seine schrifft mir nicht unbekandt ist; wolte Gott, Ich könte sie noch sehen, wie Ich sie gesehen habe, den Ich kan woll mitt warheit sagen, daß Ich seyder matante, der lieben Churfürstin, verlust nicht die geringste freude entpfunden.[1] Alles waß I. L. S. geliebet undt estimirt haben, vor denen habe ich veneration; also hatt der Herr von Leibnitz mir Einen rechten gefahlen gethan mir zu Erweißen, noch ahn mich zu gedencken, da Er nichts mehr von mir hören kan; bin Ihm recht verobligirt davor; den [021] daß Ich biß her seine brieffe bestehle, davor darff Er mir gar keinen Danck wißen, den daß kost mir weder Mühe noch arbeydt. Es hatt mich auch gefreuet, wie ich die hoffnung gehabt, Ihn hier zu sehen, den ob Er zwar nichts in mir von matante S. würde gefunden haben, alß daß geblüdt undt gemühte, so hette ich mich doch Eine freude gemacht, von I. L. S. wie auch von der verstorbenen Königin In preussen[2] zu sprechen, welche Ihn beyde so hoch estimirt haben. Mein sohn hatt vor 3 tagen Einen von seinen bedienten, Einen gar Ehrlichen man, verlohren, welchen wir beyde sehr regrettiren undt welcher mir offt von deß Herrn Leibnitz meritten gesprochen, Nehmblich seinen leibdockter, der gutte Ehrliche Humberg[3]; alle die Ihn gekandt haben, regrettiren Ihn recht. Ich dancke Ihn sehr vor den part so Er genohmen In meiner trawerigkeit über unßers Königs Verlust wie auch über die freude, so Er meint, so Ich Entpfinde über meines sohns regirung. Es geht aber hirmitt wie schir In allen sachen dießer welt, da die trawerigkeitten allezeit volkommener ist, alß die freude, den Mein sohns standt hatt zwar Einen großen schein undt Esclat, allein Ich habe doch noch große sorgen dabey. Er hatt daß Königreich In keinem gutten standt unterhanden bekommen undt Es kost Ihm schon viel Mühe undt sorgen, daß Er keine Zeit zu Eßen oder zu schlaffen hatt undt mich fürchten macht, daß Er Endtlich Eine große Kranckheit davon tragen wirdt[4]. Ich fürchte auch, Es wirdt meinen sohn gehen, ohne Vergleichung, wie Es mitt den großen fäßern zu Heydelberg gangen, alle Churfürsten so nicht gedruncken, haben sie gebawet undt die so viel gedruncken, haben keine gemacht. Der König war nicht gelehrt, hatt doch alle studien undt gelehrten floriren machen, mein sohn aber, ob Er zwar nicht ingnorent ist, auch die gelehrten liebt, wirdt Ihnen, wie Ich fürchte, nicht favorabel sein können, weillen alles In so großer unordnung hir ist, daß Mein sohn woll Mühe wirdt haben, zu thun waß Er ahm liebsten wolte; Er wirdt auch viel Leutte übel zu feinden machen, den 50 pretendiren waß Nur Einer haben kan, daß macht 49 mal contenten, ohne die zu rechnen [022] so Meinen sohn beneyden.[5] Dießes alles benimbt mir, Ich Muß Es gestehen, Meine freuden über meines sohn glorwürdigen standt jetzt. Waß aber unßern verstorbenen König ahnbelangt, so kan man nicht mitt größerer fermeté undt resolution sterben, alß I. M. gestorben sein, so haben 8 tag lang den todt vor augen gesehen, ohne den geringsten schrecken zu bezeugen, waren so ruhig alß wen sie Nur Eine reiße nach fontainebleau zu thun hetten; finde daß I. M. noch großer In dero sterben alß leben geweßen sein; mich schmertzt Er noch recht.
Mein dochter[6] undt Ihr Herr haben mir die hoffnung bericht, so man zu Wien von der Keyßerin[7] schwangerschafft, welches, wo Es sich so befindt undt sie Einen Ertzhertzog bekompt, wirdt Es Eine große ruhe In gantz teutschlandt setzen, aber der König In schweden[8] mögte woll alle ruhe über Einen hauffen werffen undt den Krieg noch lang wehren machen. Vom Czaar hatte Ich nichts gehört seyder König jörgen auff dem Bretanischen thron ist, Ich halte aber viel auff Ihn wegen alles guts so matante S. mir von Ihm geschrieben hatte undt daß Er I. L. S. lieb gehabt hatt. Ich hette gern noch lenger geschwetzt, aber da kompt Made la princesse herein, Muß schließen undt vor dießmahl nicht mehr sagen alß den Herren Leibnitz zu bitten, von meiner Estime persuadirt zu bleiben.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 26. September 1715 von Elisabeth Charlotte an Gottfried W. v. Leibniz
in: Briefwechsel zwischen Leibniz …, Hrsg. E. Bodemann (1884), S. 20–22
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d11b0002.html
Änderungsstand:
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