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Brief von etwa 1715

von Gottfried Wilhelm von Leibniz
an Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans


3.


[022]
[Ohne Datum. ]
Durchleuchtigste Herzogin
Gnädigste Frau.
Das gnädigste Antwortschreiben E. Königlichen Hoheit hat mich nicht nur wegen Dero güthe und liechts, sondern auch wegen Dero noch gegenwertigen feuers in verwunderung gesezet, welches darinn überall herfür flammet, und es ist ewig schade, daß die hocherleuchtete Churfürstin die so angenehme als geistreiche Vergleichung mit dem Heidelbergischen [023] Fasse nicht lesen sollen; welche nur allzu wahr, doch gleichwohl hoffentlich außnahmen leidet und verhoffentlich bey Dero Hr. Sohns Königl. Hoheit haben wird, welche in stande seyn, bey beforderung der Wißenschafft und guther Künste den Willen mit der that zu verbinden und auch damit nicht wenig zu gemeinen als eigenen vergnügen beyzutragen. Denn ich glaube, daß nächst dem lieben Brodt, so man zur speise genießet, denen Menschen nichts nöthiger sey als die erkentniß, die da ist das brodt der Seelen und so zu sagen das rechte Himmelsbrodt. Ich verstehe aber eine solche erkentniß, dadurch die Menschen vergnügter und glückseeliger werden, dadurch die Macht des menschlichen geschlechts über die Natur vermehret wird, dadurch sie immer neue Vortheil und neue Mittel erlangen, gesund und wohl zu seyn so viel immer thunlich. Wie ich dann ursach habe zu glauben, daß es die Menschen mit der zeit noch weit bringen werden, denn vermittelst der Druckerey werden die erfindungen beybehalten, daß sie nicht leicht (wie der Alten ihre) verlohren gehn können, und es kommen immer neue dazu. Allein es gehet mit solchem zuwachs unsers Schazes etwas langsam von statten, wenn man wartet, biß die sachen sich selbst entdecken, und ihnen nicht durch künstliche Erforschungen entgegen gehet, wie man etwa von 60 oder 70 oder 100 jahren hehr zu thun angefangen und daher in diesen 60, 70 oder 100 jahren mehr zu unserer erkentniß gethan, als fast vorhehr in 6000 jahren. Aber weil wir kaum von hundert jahren hehr recht angefangen, sowohl der Welt als des menschlichen leibes gebäude zu erkennen, so ist kein wunder, daß wir nur noch im vorhof seyn. Ich bin aber versichert, daß man noch viel mehr Zeit gewinnen köndte, wenn man keine gelegenheit versäumte zu bemerken, was uns die Natur und Kunst dargibt; durch welches mittel in zehen jahren geschehen köndte, was sonsten nicht in 100 jahren geschehen wird. Und weil höchstgedachter Regent des großen Königreichs ein Herr ist in seinen besten jahren, kan er die frucht seiner guhten anstalt noch selbst genießen; und ich, ob ich sie gleich nicht genießen werde, habe ich doch eine freude auch an Anderer Wohlseyn.
[024] Mir ist überauß leid, daß Hr. Homberg gestorben, denn er war vortreflich in erkäntniß der Natur und hätte ich mit ihm über dergleichen Mittel mich vernehmen und sie durch ihn bey Sr. Königl. Hoheit anbringen können. Wie groß, wichtig und dringend auch die gegenwärtigen angelegenheiten seyn mögen, so scheint doch, man könne das eine thun, ohne das andere zu unterlassen. Und zwar bin ich versichert, daß eines dem andern nicht im wege stehe, weiln auff art und weise, wie ich die sache begreiffe, keine große Kosten, sondern nur gute Verordnungen erfordert werden. Die Academi der Wißenschafften hat wackere Leute, aber sie sind nicht alle wie Hr. Homberg war, und es sind viele andere in Franckreich, die man auch außer der Academi wohl brauchen und durch einen wetstreit allerseits muß beßer aufmuntern köndte [sic!], zumahl wenn man mehr versuchet, als spintisiret; und ziehe ich eines Leeuwenhoeks, Rahtsbedienten zu Delft, fleißige mit dem Mikroscopo gemachte untersuchungen[1] den wohl geschmückten gedancken der geistreichsten Cartesianischen doctoren und Äbte vor. Ist derowegen zu wünschen, daß des Herrn Regenten Königl. Hoheit dero großes liecht und vortrefliche Neigung zu Vermehrung des gemeinen Liechts dergestalt brauchen mögen, wie sie leicht thun können. Ich will hoffen, nachdem sie numehro die Hauptsachen werden gefaßet haben, daß dero mühe umb ein großes erleichtert werden wird und daß, wenn alles an der Schnuhr, sie mit lust und vergnügen und folglich mit guther gesundheit regiren werden.
Ich begreiffe gar wohl daß seine Königl. Hoheit dem gemeinen wesen zu liebe viel Große und Vornehme vor den Kopf stoßen müßen und daß gemeiniglich die erinnerung der vermeynten beleidigung bei den Hindangesezten lebhaffter seye, als die erkentlichkeit der Begnügten.
Es wäre zu wünschen, daß bey vielen Bestallungen und Würden bräuchlich wäre, was bey gesandschafften und bey Stadthalterschafften geschicht, nehmlich daß nach verfließung gewißer jahre ein anderer ans bret komt, wie denn in manchen städten oder Republiken gewiße Vortheile oder Ehrenämter [025] auf der Reihe herumb gehn, und es gefallen mir hierinn die Capuziner beßer als die Dominikaner und Jesuiter, die auf lebenszeit wehlen; wiewohl diese bey den Unterämtern auch wechseln. Wäre derowegen nicht übel, wo es thunlich dergleichen einzuführen; daß man die Leute nach befinden beybehalten oder wechseln könne, dadurch würde man sie auch zu beßerer aufführung bringen, als zum exempel ich höhre, daß der Regent den Intendanten oder Auffsehern in den Provinzen gewiße Personen von der Adelschafft und von den städten beyfügen wolle, und diese vielleicht wird man wechseln lassen. Bey den geistlichen Pfründen, Abteyen, Probsteyen, Prioraten, Prälaturen und dergleichen wäre es wohl das Beste, aber der gebrauch wills nicht leiden; doch köndte es geschehen, wo man Interimsverfaßungen machet. Im übrigen glaub ich, daß die geistliche Pfründen hauptsächlich zu dem angewendet werden solten, was wahrhafftig geistlich, und nehmlich den menschlichen Geist zu tugend und weisheit, mithin zu erkentniß Gottes durch die Natur erhöhet; denn Gott nicht beßer als durch seine Werke erkennet werden kan, wie die Psalmen Davids gar schöhn andeuten: Groß sind die Werke des Herrn und wer es bedenket, der hat seine lust daran[2], und daher wären solche geistliche güther billig vor die, so entweder mit einem treflichen exemplarischen leben Andern vorleuchten oder durch ihre untersuchungen und wißenschafften das gemeine liecht befördern. Ich bekenne, daß ohnmüglich dergleichen allezeit zu beobachten, indem man offt manche wohlverdiente Personen und geschlechter durch beförderung ihrer anverwandten geistliches standes vergnügen muß, allein ich glaube, daß gleichwohl auch der Hauptzweck offt zugleich zu erhalten, auf welchen es im Conscienz-Raht meist ankommet.
Aber was kan man E. Königl. Hoheit oder Dero Herrn Sohne sagen, daß Sie nicht längst und beßer wissen, doch kan bisweilen eine erinnerung nicht schaden, und man sagt, der König Philip aus Macedonien, des großen Alexanders Vater, habe Leute gehalten, die ihm gewiße Dinge, die er doch wohl wuste, zu zeiten ans ohr sagen müssen.
[026] Ich habe im übrigen dem Hr. Remond[3] eine Kleinigkeit zugeschickt, solche, da sich’s leidet, des Regenten Königlicher Hoheit unterthänigst zu überreichen. Es ist eine entdeckung von dem ersten Wohnplatz der alten Francken, daß sie nehmlich zuerst vom Baltischen Meer hehrkommen und über die Elbe gesezet, hernach aber zum andern zwischen Elbe, Weser, dem Harz und Mayn gewohnet, darauff drittens über die Weser gangen und sich dem Rhein genahet, von dannen sie viertens endtlich in Gallien übergangen. Solchen ersten Wohnplaz hab ich in uralten schrifften gefunden, die noch wenigen bekand, gleichwohl untadelich; denn bishehr hat man ihr erst Quartier diesseits der Elbe bezeichnet und mit den alten Fabelhansen haben die gelehrten nichts zu thun, die sie aus Ungarn oder gar aus der kleinen Tartarey hehr gehohlet. Es ist heut zu tage wohl nicht viel daran gelegen, doch pflegt man seine Alterthümer nicht zu verachten, wenn sie gleich das brodt nicht wohlfeiler machen. Ich hoffe, es soll den französischen gelehrten nicht mißfallen.[4]
Der General von Schulenburg[5] schreibt mir aus Wien, obschohn der Kayserl. Hof ohngern an den Türckenkrieg komt, durffte er doch nicht zu vermeiden stehn, wenn die Türcken Morea den Venetianern abdringen wollen. Der König in Schweden will sich, wie es scheinet, in den ruinen von Stralsund begraben lassen; denn bisher kan ihn niemand zu leidlichen gedancken bringen, ob es schohn der Kayser und Franckreich versucht haben. Er hat allezeit zur Vorbereitung haben wollen, was kaum die Frucht der ganzen handlung seyn kan, nehmlich daß man ihm alles wiedergebe, was er durch seinen eigensinn verlohren. Ob er sich nun eines beßern bedencken werde, da ihm das Wasser an die Kehle gehet, stehet dahin. Zu wünschen wäre es, daß er seine Person zuforderst in sicherheit sezte und nach Schweden überginge und dann etwa einen stillstand bewürckte; zu diesem lezten soll der Kayserl. Hof rahten, vielleicht auch der französische, und zu Anfang dieses Feldzuges wäre es leicht angangen, aber nun, da die Bundesgenossen so große Kosten gethan, wird es schwehr seyn. Ich glaube, man werde in kurzem vernehmen, daß die insel [027] Rügen übergangen, denn viel Hunde sind nicht nur der Haasen, sondern auch der Beeren todt. Mit Franckreich war es ein anders und könnte wohl sagen nec pluribus impar, wie ein Rhinoceros, so man auch Nasenhorn nennet, oder ein Elephant oder Aurochs, die schlenckern die Hunde wie ballen in die lufft; wiewohl es zulezt auch gehapert.
Man kan wohl sagen, daß der große König größer im Unglück als im Glück gewesen, und nach E. K. H. beschreibung am allergrösten im todt; jedoch au testament prés, denn in der Welt ist nichts vollkommen.
Der Hr. von Imhof[6] hatte mich höchlichen erfreuet, als er mir geschrieben, E. Königl. Hoheit befinde sich allem ansehn nach sehr wohl; ob nun E. K. H. selbst eigenes Schreiben gleich eine hochvernünfftige sorgsamkeit zeiget, will ich doch hoffen, die Vergnügung soll die oberhand haben, und haben Sie Dero Herrn Sohne hauptsächlich vorzupredigen, daß er vor seine Gesundheit sorge; nächst der Tugend gehet Gesundheit über alles. Ich habe hundertmahl zu guthen freunden anstatt vanitas vanitatum et omnia vanitas pflegen zu sagen: sanitas sanitatum et omnia sanitas, aber nicht gewust, daß auch andere dergleichen rede vor mir gebrauchet, biß ichs in den Menagianis gefunden, daß auch Balsac so gesprochen und daß vor Balsac ein gewißer Italiäner auch so geredet.[7] Es habe es zuerst gesaget wer da wolle, so ist es wohl zu beobachten und ist eine Regel, so ins guldene A. B. C gehöhret. Ich wünsche, daß E. K. H. sich derer mit der besten Würckung von der welt bedienen mögen, und verbleibe lebenszeit
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Empfohlene Zitierweise:
Brief von etwa 1715 von Gottfried W. v. Leibniz an Elisabeth Charlotte
in: Briefwechsel zwischen Leibniz …, Hrsg. E. Bodemann (1884), S. 22–27
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d11b0003.html
Änderungsstand:
Tintenfass