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Brief vom 27. März 1716

von Gottfried Wilhelm von Leibniz
an Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans


7.


[042]
Hanover den 27. Merz 1716.
Durchleuchtigste Herzogin,
Gnedigste Fürstin und Frau.
Vor E. Königlichen Hoheit augen meine geringe Zeilen allzu offt zu bringen, habe billig bedencken, doch kan nicht umbhin, zu Zeiten meine Freude zu bezeigen, wenn ich höre, daß S. K. H. Herr Sohn, der Durchleuchtigste Regent von Franckreich, sonderbare proben Dero hoher Weisheit geben in denen sachen, davon ich zur gnüge urtheilen kan, denn in Staats- und Landsachen geben Sie solche täglich. Es schreibt mir einer von der Academi der Wißenschafften, daß S. K. H. ohnlängst die ganze Versammlung von 50 Personen zu sich [043] kommen lassen und denselben nicht allein überauß gnädig begegnet, sondern auch mit ihnen von den Wundern der Natur und Kunst und sonderlich von den Würckungen ihres eigen großen brennglases, darauf man ohngefähr kommen, so eigentlich, lauffig und grundlich gesprochen, daß sie alle mit Verwunderung erfüllet worden und sich eben daher so mehr ein großes zu fortsetzung dieser vortreflichen Untersuchungen versprechen, weil höchstgedachte S. K. H. aus eignem liecht und nicht auß ander anleitung sich deren annehmen. Zu solches Vorhabens aufnahme köndte vielleicht dienen (wo mir erlaubt etwas anzufügen), wenn S. K. H. zu Zeiten einige Preise vor die sezen ließen, die etwas wichtiges entdeckten; zu welchem ende nach und nach einige schwehre aufgaben in mathematischen, mechanischen, physischen und medicinalischen Sachen offentlich dargestellet werden köndten. Da auch jemand etwas schwehres und wichtiges entdeckte, so niemand ihm zwar aufgegeben, aber wohl aufgebens wehrt, köndte ihm auch eine erkentniß zu aufmunterung der gemüther und erweckung der Lust und Liebe zu Wißenschafften wiederfahren; dergestalt würde meines erachtens mit wenigem ein großes außgerichtet werden können. Ich verstehe aber solche aufgaben, da man wissen kan, ob es der auflöser getroffen; nicht wie die unlängst bey der Academi zu Bourdeaux, da man die frage vorgelegt, was die ursach des Barometers sey und wie das Eiß entstehe, und das weiß man, glaub ich, hernach nicht beßer als vorhehr.
England und Unser Land ist mit einer wunderlichen Zeitung angefüllet gewesen, als ob sich Franckreich des Ritters von St. Joris annehmen wolte, ja selbst am Kayserlichen Hofe ist es von einigen ausgebreitet worden, die den Türkenkrieg wiederrahten und dem Kayser zugleich wegen Welschland besorgniß machen wollen. Aber es scheinet wohl, daß der Kayser und der König von Groß Britannien dergleichen außsprengen keinen glauben gegeben haben, denn der Kayser fähret mit aller anstalt zum Türkenkriege fort und der König von Groß Britannien unterläßet die vom Parlament guht machende Werbungen großen theils, umb den Unterthanen keine nicht hochnöhtige Last zu machen; da man dafür hält, [044] daß des Hr. Regenten K. H. eben dergleichen absicht haben. Und ich habe auch solchen einbildungen niemals glauben geben können.
Wir glauben, es dürfften in diesen Landen nicht nur der König von Groß Britannien, der König zu Dennemarck und der König in Preußen, sondern auch der Czar unterredung halten. Der Czar will das Warme baad brauchen und vielleicht auch Sauerwaßer trinken. Im Carls- und Töplizer baad ist er ehemahlen gewesen; er möchte vielleicht auch das Aaker baad versuchen wollen. Wenn er stark Sauerwaßer verlangt, so ist das Pyrmonter recht, welches der König von Groß Britannien auch an der stelle dieß jahr zu trincken verlanget; Gott gebe, daß ihm die gescheffte solches zulaßen, damit S. Mt. sich wieder etwas erquicken. Wiewohl die wahrheit zu bekennen, wenn ich sein Leibarzt wäre, würde ich meine stimme zu einem gelindern Waßer geben, oder wenigstens nicht so gar viel zu trincken rahten, als man thut und damit alzu sehr in seine Natur hinein stürmet. Als der Kayserin frau Mutter, Herzogin zu Braunschweig Blankenburg, dem König ihre Reise nach Wien zu wißen gethan, hat er geantwortet, er hoffe gänzlich ihre Durchl. nach dero rückkunfft von Wien in diesen Landen zu sprechen.
Ich bin zu Braunschweig gewesen, der Frau Herzogin Durchl. glück auff die Reise zu wünschen; da hatte man eben Zeitung von des Herzogs zu Mecklenburg Schwerin vorhabender heuraht mit des Czars bruders tochter[1], der verwittibten Herzogin von Churland Schwester. Weil aber dieser Herzog von seiner vorigen frau gemahlin noch durch keinen Rechtsspruch geschieden, so weiß man nicht, ob die vollziehung der Heuraht vorhehr vor sich gehen wird. Es ist über solcher Rechtssache ein streit entstanden, weil sich der Kayserliche Reichshofraht der Sache annehmen wollen. Bey den mehrsten Evangelischen Reichsfürsten aber ist vor längst dafür gehalten worden, nachdem alle geistliche Oberbohtmäßigkeit in ihren Landen ihnen bey wehrender sonderung vom Pabst durch den Religionsfrieden überlaßen, so gebühre das gericht hierinn in der Herrn eignen sachen solchen ohnpartheyischen Richtern, die [045] beliebet werden, und würde es also gleichsam seyn eine art von Außträgen. Wie mans nun in dieser Sache noch angreiffen wird, stehet zu erwarten.
Der Herr Herzog zu Sachsen-Zeiz, dem nur noch eine tochter am Leben, hat seines verstorbenen Herrn Brudern Sohn, zwar noch einen Knaben, aber von guhter hofnung, seinem Herrn Bruder, dem Cardinal von Sachsen-Zeiz, Erzbischoff zu Gran in Ungarn, zugeschickt. Es kan nun die erziehung eines jungen Herrn am Kayserlichen Hof, solchen vollkommener zu machen nicht wenig dienen, im Lande aber besorgt man, er möchte zu änderung der Religion gebracht werden, und das köndte weitläufftigkeiten nach sich ziehen. Es ist ein elend, daß die Religion, so auff glückseeligkeit und ruhe der Menschen zielet, bey ihrem jezigen Zustand so viel weiterungen mit sich bringet.
Hr. Remond hat mir noch nicht geschrieben, wie meine wenige gedancken von hehrkunfft der Franken seiner Königl. Hoheit oder vielmehr einigen gelehrten, denen sie solche vielleicht sehen lassen, angestanden. Denn daß S. K. H. selbst einige kostbahre augenblicke darüber versäumen solten, wär eine sünde. Weil aber E. K. H. auch nach Hr. Remonds bericht das papier gesehen und Dero vortrefliches liecht auch betr. die Alterthümer mir und manniglich bekand, so wird Dero Urtheil mir anstatt des Urtheils von ganz Franckreich dienen; ob schohn die Sach in den Sprengel der Academi gehohret, darinn Hr. Baudelot[2] sich so wohl verdient gemacht. Ich verbleibe lebenszeit
E. K. H.
unterthenigster
G. W. v. L.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. März 1716 von Gottfried W. v. Leibniz an Elisabeth Charlotte
in: Briefwechsel zwischen Leibniz …, Hrsg. E. Bodemann (1884), S. 42–45
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d11b0007.html
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