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Brief vom 17. Dezember 1705

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


283.


[429]

A mad. Louise[1], raugräffin zu Pfaltz, a Hanover.

Versaille den 17 December 1705.
Hertzliebe Amelise, Ewer schwester schreiben habe ich 8 tag nach daß Ewerige entpfangen, andtworte auff beyde heütte. Alles, waß unßern herrgott betrifft, daß lest sich nicht vexiren; waß aber seine dinner betriefft, die menschen seindt wie wir undt etlich mahl noch mehr schwachheiten haben, alß andere, da, glaube ich, ist woll erlaubt über zu lachen, wen es auch nur were, sie von ihre fehler zu corigiren. Ich mache mich nie kein gewißen über waß mich; den deücht es nichts, so ist es deren schuldt, so es sagen, undt nicht die meine; ist es indifferent, so gibt es keine rewe. Die herrn prediger seindt ordinari nicht sehr zeitvertreiblich. Mich deücht, man verliehrt den respect vor die geistlichen, wen man sie so nahe undt offt sicht; aber es ist gewiß, daß es leütte wie andere sein. Gott gebe, liebe Amelisse, daß ich in der gnade gottes stehen möge! Ich fürchte aber, ich sey von den lauen leutten, so [430] gott außspeyen will; den ich thue weder guts noch böß. Unßer herr vatter hatt alles woll gethan, waß einen regenten zukompt; aber sie liebten die predigen bey weittem nicht so sehr, alß Ihr undt Louisse. Ich gestehe, daß es billiger undt beßer ist, nie alß mitt respect undt soumission von religion undt himmel zu reden; allein ich glaube, wen nur auß lustigem humor undt nicht auß boßheit oder verachtung der religion einem einige vexirerey entfahret, daß es eben keine todtsundt ist undt daß es schir übeller gethan ist, medissance von seinem negsten zu sagen, alß mitt religionssachen possen zu treiben; den wen man mitt religionsachen possen treibt, macht mans zu grob, ist es nur schlim vor sich selber; waß aber den negsten betrifft, daß gibt inpression, man glaubts undt benimbt dem negsten die ehre, welches doch in allen religionen so hoch verbotten ist undt daß zweyte große gebott in sich helt. Aber ich glaube, daß in allen sachen ein unterschiedt muß gemacht werden, daß man über den negsten lachen kan, wen es nicht gegen die ehre geht. Le malade imaginaire ist nicht von Moliere commedien, so ich ahm liebsten sehe; Tartuffe gefehlt mir beßer. Daß ist sehr ordinarie, daß schwangere weiber kein fleisch richen können ohne übel werden. So war ich auch. Man ist gern, was man in seiner jugendt zu eßen gewohnt ist. Es ist nun 34 jahr, daß ich in Franckreich bin undt habe mich noch nicht ahn daß eßen hir im landt gewohnen können, es mein leben kein ragoust. Ewer brieff, liebe Amelise, war gar nicht übel geschrieben, bedörfft keine entschuldigung. Louisse wirdt Eüch sagen, wie daß ich jetzt ein wenig lahm bin; aber in welchem standt ich auch sein mag, so werde ich Eüch doch allezeit lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 17. Dezember 1705 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 1 (1867), S. 429–430
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d01b0283.html
Änderungsstand:
Tintenfass