Brief vom 19. Mai 1707

[022]

A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Hanover.

Marly den 19 May 1707.

Hertzliebe Louisse, seydt versichert, daß ich recht in ängsten vor Eüch erstlich undt hernach auch vor Amelise geweßen bin! Gott sey danck, daß es so woll abgangen ist! den die röttlen seindt gar eine gefährliche kranckheit. Ihr werdet auch, wie ich hoffe, einen von meinen brieffen entpfangen haben, den ich ahn Eüch selber geschrieben hatte. Ihr wolt den himmel, wie ich sehe, durch demuht gewinnen, daß Ihr sagt, daß Ihr es nicht wehrt seydt, daß ich mich so sehr vor Ewere gesundtheit interessire. Daß finde ich gar nicht; den außer daß wir einander ja so nahe sein, so macht Eüch Ewere tugendt von jederman estimiren. Worumb solte ich es den nicht auch thun? Aber daß habt Ihr Eüch selbsten, liebe Louise, undt nicht mir zu dancken. Ich habe die heßliche rottlen zweymahl gehabt, einmahl zu Heydelberg undt einmahl zu Paris. Hettet Ihr meledy-Kendt-pulver gebraucht undt damitt geschwitzt, were daß fieber nicht nach den rödtlen kommen. Ihr seydt noch jung genung, umb nicht lang ohne stärck zu bleiben. Amelisse hatte groß recht, bey Eüch zu bleiben undt sorg vor Eüch zu haben. Unßer herrgott hatt auch ihr gutt vorhaben gesegnet, wie Ihr secht, weillen sie beßer davon kommen ist, alß Ihr selber. Große leütte sterben so woll ahn den rottlen alß kinder. Die hanoverische lufft muß Eüch nicht so gesundt sein alß die Franckforter. Es ist aber kein wunder, daß Ihr kranck werdt, wo Ihr die gantze nächte schreibt; nichts ist ungesunder, alß nachts zu schreiben. Worumb braucht Ihr den tag nicht dazu? Daß ist ein irtum, daß früh auffstehen ungesundt ist. Es ist nicht ungesundt, wen man nur nicht spät schlaffen gangen; contrari, frühe nach bett zu gehen undt frühe [023] auffstehen ist recht gesandt. Wist ihr den daß frantzosche sprichwort se coucher a dix, lever a 6, disner a dix, souper a 6 fait vivre dix fois dix? Es ist gewiß, daß nichts widerlichers ist, alß in eine cammer zu bleiben, worinen man kranck geweßen; habt woll gethan, zu endern und auch ma tante, die fraw churfürstin, nicht in die cammer zu laßen, worinen Eüch die rodtlen außgeschlagen seindt, den sie stecken sehr ahn. Daß der churfürst nicht nach Eüch hatt fragen laßen, wundert mich gar nicht. Er fragt nach niemandts, aber es geschicht denen auch, so nach niemandts fragen, daß niemandts nach ihnen fragt. Der churfürst piquirt sich, nicht hofflich zu sein, undt [man] sichts woll ahn seinem hoff; den einen unhofflichern schlungel, alß der junge graff Platen^[1] ist, so bey dießem churfürsten so in gnaden, [gibt es nicht]. Were selbiger mir nicht von ma tante sehr recomandirt worden undt sein vatter undt mutter vor dießem meine gutte freünde, wolte ich ihn in einen ort haben stecken laßen, wo er zeit bekommen hette, reflectionen zu machen undt morus^[2] zu lehrnen; den er hatte die Bastille woll verdint, aber umb obgemelten ursachen habe ich ihn salvirt. Ich bin fro, daß hertzog Ernst August doch zu leben weiß undt hofflicher, alß der churfürst. Monsieur s. war woll so gutt alß der churfürst von Braunsweig; der hatt nie gefehlt, zu meinen damen zu gehen, wen sie kranck wahren, nicht allein die dame d’honneur, sondern auch dame d’atours. Ich kan nicht begreiffen, wie I. L. dießer churfürst, so von den gnädigsten undt höflichsten eltern gebohren, so in der weldt leben mögen, so unhofflich, wildt undt störisch geworden, da er doch gesehen, wie sehr man sein herr vatter undt fraw [mutter] gelobet hatt. Daß ist abgeschmackt, liebe Louisse, daß Ihr mir eine entschuldigung macht, daß Ihr mir von Eüch selber schreibt. Von wem begehre ich dan zeytung, alß von Eüch, wen ich Eüch schreibe? Man rufft mich zur taffel, muß also schließen undt nur sagen, daß ich Euch von hertzen lieb behalte.