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Brief vom 2. März 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


410.


[081]

A mad. Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Heydelberg.

Versaille den 2 Mertz 1709.
Hertzliebe Louise, ich hoffe, Ihr werdet nunmehr mein schreiben, so Eüch gefehlt, erhalten haben, welches ohne zweyffel nur durch daß große gewäßer wirdt auffgehalten sein worden. Ewere schreiben entpfange ich nun gar richtig. Daß letzte, so mir in ahnfang dießer wochen ist zu händen kommen, war vom 16 Februari; seyderdem habe ich keines bekommen. Ich habe keinen eintzigen sambstag gefehlt, zu schreiben, seyder ichs versprochen habe. Die Ewere entpfange ich eine zeit hero gar richtig, hoffe, daß sich die meinigen auch wider einfinden werden. Seydt versichert, daß, wen Eüch von meinen brieffen fehlt, daß es meine schuldt nicht ist; den ich schreibe sicher alle sambstag. Mich deücht, daß Amelise kranckheit lang wehrt; ist erschrecklich, den daß muß die umbstehenden recht ängstigen, sie so ohne ahtem zu sehen. Ein par loffel vol Moßeller wein ist ein leicht undt nicht unahngenehme artzeney, lest keinen bößen geschmack hinter sich. Ich beklage Amelisse von hertzen, lang kranck zu sein; den nichts ist ellenders in der weldt. Sie undt Ihr seydt zu gottförchtig, umb nicht gedultig zu sein; den daß ist die rechte brob von der rechten warhafften gottesforcht. Fraw von Weiden ist daß nicht freüllen Charlott?[1] Ist die noch bey leben? Ich meinte, sie were gestorben. Es ist mir aber von hertzen leydt, daß die gutte fraw [082] von Wollmershaussen so kräncklich geworden; sie war so starck undt gesundt in ihren jungen jahren. Es ist mir lieb, daß mein nachfragen ihnen ahngenehm geweßen. Ich bitte, Ihr wolt sie doch bey[de] von meinetwegen grüßen undt ahn die fraw von Wollmershaussen sagen, daß sie mich ja so woll kent, also woll wißen solte, daß ich die, so meine rechte gutte freünde sein, niemahlen vergeßen werde. Danckt beyde vor ihre gutte wünsche! undt wünsche ihnen hergegen eine volkommene gesundtheit. Es ist war, liebe Louisse, daß man nie mehr von krancken undt sterbenden gehört hatt, alß seyder ein jahr her. Mein leben habe ich keine so trawerige zeitten gesehen, alß nun. Gemeine leütte sterben weg wie mucken vor kälte undt armuht, alle leütte seindt trawerig, haben diß jahr entweder freündt oder verwandten verlohren. Ein jedes ist undt lebt apart, kein hoff wirdt mehr gehalten, alß bey dem nachteßen, wo kein mensch den mundt auffthut, suma, man kan keine trawerige[re] zeit sehen, alß nun hir ist. Gott wolle es endern! wir habens alle hoch von nöhten. Es ist ma tante, unßerer lieben churfürstin, zwar leydt, ihren oberhoffmeyster verlohren zu haben, allein sie lacht doch ein wenig über deß verstorbenens fraw, daß die sich nun zu todt weinen will undt ihren man bey sein lebenszeit doch nicht geliebt hatt. Nun graff Platten todt, Sandis undt Trost in amptern sein, kenne ich keinen menschen mehr zu Hannover, alß baron Görtz undt monsieur Harling. Wie ich von dem graffen von Nassau Weilburg habe reden hören, so thut Churpfaltz einen schlegten verlust ahn ihm. Sein courage erweist nicht so starck, daß seine gemahlin viel zu sorgen hette, daß ihm waß übels im krieg undt in der campagne begegenen solte. Man hört viel zu Paris vom frieden sprechen. Gott gebe, daß dieß glück baldt werden möge! Ich kan es nicht glauben, biß man mir wirdt sagen konnen, daß mans außgeblaßen hatt durch die gaßen, wie es in gleichen fallen hir bräuchlich ist. Hir ist daß ellendt auch mitt den mühlen gangen, viel leütte sein hungers gestorben zu Paris deßwegen.[2] Gestern verzehlt man mir eine erbärmliche historie [083] von einer armen frawen, so auff dem marck ein brodt in einem beckerladen stahl. Der becker lieff dem weib nach, sie fing ahn, zu weinen und sagte: Wen man mein ellendt wüste, man nehme mir daß brodt nicht. Ich habe 3 kleine kinder, gantz nackendt ohne fewer noch brodt, sie ruffen nach brodt, ich kans nicht mehr außstehen, habe derowegen das brodt gestohlen. Der comissarius, vor dem man sie geführt hatte, sagte: Segt zu, waß ihr sagt! den ich will mitt eüch in ewer hauß, ging auch mitt. Wie er in die camer [trat], sahe er 3 kleine nackende kinder, in alten lumpen gewickelt, in einem eck sitzen; die zitterten vor kalte, alß wen man daß fieber hatt. Er fragte daß alste: Ou est vostre pere? Derière la porte, sagte daß kindt. Der comissarius wolte sehen, waß der vatter hinter der thür thät; der hatte sich verzweyffelt undt gehengt hinter der thür. Der comissarius erschrack, daß er schir verstarrt. Dergleichen sachen hört man täglich. Man schreibt mir alleweill von Paris, daß. eine jungfer dort ihren eygenen todt prophezeyet hatt undt auch noch mehr andere sachen. Unter andern solle sie gesagt haben, daß diß jahr eine große schlagt bey Bethune solle gehalten werden, so die unßerigen gewinen, undt daß hernach erst ein frieden werden wirdt. Etliche monat werden erweißen, ob die prophezeyung war ist. Waß aber war worden, ist, daß die jungfer den tag undt die stundt gestorben, wie sie es prophezeyet hatte. Also segt Ihr, daß bey den wilden in Cannaden seindt viel, so sehen konnen, waß geschicht. Vor 10 jahren war einer hir, ein frantzöscher edelman, so page bey dem marechalle d’Humiere[3] geweßen ware undt eine von meinen cammerfrawen geheüraht hatte, brachte einen wilden mitt. Einsmahl, alß man ahn nichts dachte undt ahn taffel saß, fing der wilde ahn, trawerig zu werden undt grimassen zu machen. [084] Longeüil[4] (so heist der edelman) fragte ihn: Waß ist dir? hatt dir jemandts waß zu leydt gethan ? Nein, sagte der wilte undt weinte bitterlich. Longeüil sagte: Ich will absolutte wißen, waß dir ist. Er sagte: Zwinge michs nicht zu sagen! es geht dir naher an, alß mir. Dießer wolte es doch wißen. So sagte ihm der wilde: Alleweill habe ich durch daß fenster gesehen, daß dein bruder von einen (so er ihn nente) erstochen ist worden ahn dem undt dem ort in Cannada. Longeüil fing ahn, zu lachen undt sagte: Du bist ein narr worden. Der wilde sagte: Ich bin kein narr. Schreib auff, waß ich sage! Du wirst nur gar zu baldt erfahren, daß es war ist. Auß curiositet schriebe es ein jedes auff, so ahn taffel saß, dabey den tag undt die stundt. 6 mont hernach, wie die schiff auß Cannada wider ahnkammen, bekam Longeüil die zeittung von seines brudern todt, eben wie der wilde es ahn taffel durchs fenster in der lufft gesehen hatte. Dieß ist gar eine warhaffte historie.[5] Es scheindt in alles, daß die gutte Pfältzer ihres ersten churfürsten bludt lieber haben, alß die neüe regenten; drumb habe ich sie noch alle von hertzen lieb. Amelisse bitte ich von meinetwegen zu ambrassiren. Ihr sagt nichts von Ewern augen. Daß macht mich hoffen, daß sie beßer sein; wünsche es von hertzen undt daß Amelisse auch baldt wider gesundt mag werden. Seydt versichert, daß ich Eüch alle beyde von hertzen lieb behalte! Ich habe einen abscheülichen husten, bin schon seyder secks tagen nicht auß der cammer gangen, kan also ohnmöglich dießen brieff überleßen undt corigiren, bitte die fehler zu entschuldigen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 2. März 1709 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 81–84
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0410.html
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