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Versaille den 1 Juni 1709.
Hertzliebe Louisse, in dießer wochen habe ich Ewern lieben
brieff vom 18 May zurecht entpfangen undt bin fro, darauß zu
ersehen, daß meine schreiben auch so woll überkommen. Von Ewern
complimenten will ich nichts mehr sagen, Ihr mögte sie sonst wider
ahnfangen. Ich bin woll überdrüßig, daß Amelise so lang kranck
ist, aber nicht, von ihrer kranckheit zu hören. Also bitte ich
Eüch, liebe Louisse, immer fortzufahren, mir zu berichten, wie es
mitt Amilise stehet. Daß der krampff so viel übel stifften kan,
macht mich schir bang; den ich bin auch sehr mitt geplagt, kompt
mir offt im halb,
[1] alß wens mir den halß abtrehen wolte; den
reibe ichs nur starck mitt der flache handt undt bin[de] sehnen von
ellendt
[2] umb den halß, so ma tante, unßere liebe churfürstin, mir
geschickt, so vergeht es gar baldt. Gott gebe, daß Louise
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beßerung je mehr undt mehr zunehmen möge! Heütte ist es nicht
kalt, aber alle überige tage hatt man nicht ohne fewer sein können.
Donner undt schloßen fehlen unß hir auch nicht, haben deren schir
alle tag. Waß man von der pfaltzischen frucht ahn den Frantzosen
verkaufft, wirdt zweyffels ohne vor die armée sein. Hir ist daß
brodt noch sehr thewer. Von dem graff von Leiningen, so hir vor
die religion solle gefangen geßeßen sein, habe ich mein leben nichts
gehört. Es muß ein mißverstandt mitt sein; den frembte sagt man
nichts von der religion undt er kan deßwegen nicht gefangen
geweßen sein, er müst den gegen die catholische religion gar hart
gesprochen haben undt ärgernuß geben haben. In kirchen aber,
wen daß geweßen were, hette mans erfahren, undt ich habe kein
wordt davon gehört. Ich fürcht, es seye etwaß dahinter undt ein
mißverstandt. Ma tante wirdt woll außfinden, waß es ist, weillen
er nach Hannover ist. Ich finde es gar nicht schön ahn I. L. dem
churfürsten von Braunsweig, die reichsgraffen nicht nach ihrem
standt zu tractiren; ich sehe nicht, waß vortheil I. L. dabey haben
können. Es ist ein zeichen, liebe Louisse, daß Ihr Eüch zu
Hannover beliebt gemacht habt, weillen der adel Eüch wider hin
wünscht, kan aber woll leicht begreifen, wie Amelise standt Eüch
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abhelt, wider hin zu gehen, welches mir leydt wegen der ursach
undt darnach auch wegen ma tante, der fraw churfürstin, ist; den
I. L. haben geselschafft von nöhten, umb in dero gutten humor zu
bleiben undt nicht trawerig zu werden. Ihr jamert mich, daß Ihr
so umb daß Ewerige bey Churpfaltz solicittiren must. Hir im
landt, liebe Louisse, ist man schwartz gekleydt, wen man bey hoff
ist; aber wen man nach Marly oder wen man reist, tregt niemandts
schwartz, so alt man auch sein mögte, alß wen man in trawer ist.
Ich fürchte, ich werde noch so baldt nicht auß der trawer
kommen; den mein armer vetter de la Trimoüille ligt auff den todt;
es ist der printzes von Tarante elster sohn. Ich bin persuadirt,
daß er nicht so sehr von seiner brustkranckheit stirbt, alß von 9
aderläß, so man ihm in 2 mahl 24 stundt gethan;
[4] er jammert mich
sehr. Waß seyder ein jahr hir von bekandten gestorben ist, ist
nicht zu zehlen. Man tregt so viel kapen nun, jung undt alte, daß
Eüch daß keine mühe wirdt geben können, noch keine neüe flüße.
Ich bin woll Ewerer meinung, daß man leicht ahm hoffleben müde
kan werden, daß aber bey ma tante sein sehr ahngenehm ist. Die
teütsche gazetten seindt beßer geschrieben, alß … dancke Eüch
sehr vor alle, die Ihr mir schickt, sie divertiren mich recht. In
dießem augenblick bringt man mir Ewer lieben briff vom 25 May,
ich kan aber heütte ohnmoglich drauff andtworten; den wir seindt
in der octave vom fronleichnamfest. Da muß man alle tag in kirch,
kan also heütte unmöglich mehr sagen, alß daß ich bin undt bleibe
die person von der welt, so Eüch undt Amelise ahm liebsten hatt,
ambrassire Eüch alle beyde von hertzen.