Seitenbanner

Brief vom 27. August 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


724.


[614]
Versaille den 27 Augusti 1715.
Hertzallerliebe Louise, ob ich zwar in einer solchen abscheülichen betrübtnuß bin, daß nicht weiß, waß ich thue oder rede, so will ich doch auff Ewer liebes schreiben andtwortten, so viel mir möglich wirdt sein, muß aber vorher sagen, daß wir gestern daß betrübste undt touchanste spectacle gesehen haben, so man sein leben sehen wirdt. Unßer lieber könig, nachdem er sich zum todt bereydt undt, wie es hir der brauch ist, seine letzte sacrementen entpfangen vorgestern umb 8 abendts undt alles ordonnirt, wie er es nach seinen todt will gehalten haben,[1] hatt den jungen Dauphin [615] hollen laßen, ihm seinen seegen geben undt zugesprochen.[2] Hernach hatt er die duchesse de Bery, mich undt alle seine andere dochter undt enckeln kommen laßen; er hatt mir mitt solchen tendren wortten adieu gesagt, daß ich mich noch selber verwundere, wie ich nicht rack ohnmächtig worden bin. Er hatt mich versichert, daß er mich allezeit geliebt hette undt mehr, alß ich selber gemeint, daß es ihm leydt seye, daß er mir jemahlen chagrin gegeben; er bätte, ich solte mich doch seiner etlichmahl erinern, welches er glaubte, daß ich thun würde, weillen er persuadirt seye, daß ich ihn allezeit lieb gehabt hette; daß er mir im sterben glück undt seegen wünsche undt daß ich all mein leben möge vergnügt zubringen.[3] Ich wurff mich auff die knie, nahm seine handt undt [616] küste sie; er ambrassirte mich. Hernach sprach er ahn die andern; er sagte, er recommandire ihnen die einigkeit. Ich meinte, er sagte es zu mir, ich [sagte], daß ich E. M. in diß undt all mein leben gehorsamen würde; er threhet sich herumb, lachelte undt sagte: Ich sage Eüch diß nicht, ich weiß, daß Ihr es nicht von nohten habt undt zu raisonabel dazu seydt; ich sage es ahn die andern princessinen.[4] Ihr könt leicht gedencken, in welchen standt mich dießes alles gesetzt hatt. Der könig hatt eine fermeté, die nicht auszusprechen ist,[5] gibt alle augenblick ordre, alß wen er nur eine reiß thete. Er hatt ahn alle seine leütte gesprochen undt adieu gesagt. Meinem sohn hatt er alles ahnbefohlen undt ihn zum regenten gemacht mitt solcher tendresse, daß es durch die seele dringt.[6] Ich glaube, daß ich die erste vom königlichen hauß sein werde, so den könig folgen wirdt, wen er stirbt; den er lebt noch, aber wirdt doch schwächer undt es ist nichts zu hoffen leyder. Warumb ich glaube, daß ich die erste sein werde, so den könig folgen wirdt, ist erstlich mein hohes alter; zum andern, sobaldt der könig verschieden wirdt sein, führt man den jungen könig [617] nach Vincene,[7] wir andern all aber werden nach Paris, wo die lufft mir schädtlich; ich werde dort in meiner trawerigkeit sitzen ohne gutte lufft, ohne exercitzien, werde also nach aller aparentz kranck werden müßen.[8] Es ist nicht war, daß madame de Maintenon todt ist; sie ist in voller gesundtheit ins königs cammer, welchen sie weder nacht, noch tag quittirt. Daß ist alles, waß ich Eüch von dießen betrübten zustandt, worinen wir hir leben, sagen kan. Ich war nicht lustig vorher, den ma tante ligt mir immer auff den hertzen, aber dießes nun gibt mir den garauß. Es ist mir, ich könte es ohnmöglich überstehen; gott woll sich meiner in gnaden erbarmen! Ich komme jetzt auff Ewer liebes schreiben, liebe Louise! Deß königs zustandt habe ich Eüch wie nun auch gar recht bericht. Der könig ist von einer gutten starcken constitution; ich glaube, daß, wen man eher dazu gethan hette, würde man ihn noch haben salviren können.[9] Stirbt der herr, wie nicht zu zweyfflen stehet, so ist es ein größer unglück vor mich, alß Ihr Eüch immer einbilden könt, auß viellen ursachen, die sich nicht schreiben laßen. Ich kan undt weiß nichts vor mir zu sehen, alß ellendt undt unglück; ohne verdruß, ungemach undt lange weill undt ungemach kan ich zu Paris nicht leben. Bin Eüch doch sehr verobligirt, mir guttes zu wünschen; aber wir seindt einander zu nahe, liebe Louisse, umb einander nicht alles guts zu wünschen. Es seindt schon lange jahre, daß freüde undt zufriedenheit nicht vor mich gemacht sein. Ich glaube nicht, daß, wen madame de [618] Maintenon sterben solte, daß sie, waß sie hatt, ahn daß stifft von St Cire geben solte; den sie hatt ja ihres leiblichen bruders tochter, die duchesse de Noaille, bey sich, die kinder hatt, undt sonst noch baßen. Mein dochter schreibt mir, es seye nicht war, daß der printz François so übel seye tractirt worden, daß man dem docktor nur zu leydt nachgesagt hatt, daß er den printzen so übel tractirt, daß es nicht war seye; daß man ihm kein ader gelaßen, noch clistir, noch tissane geben[10], sondern besuar[11] undt cordies. Es geht dem meledi-Kent-pulver, wie daß sprichwordt lautt: Kein prophet gilt in seinem vatterlandt. Mir hatt es gar gewiß 4mahl daß leben gerett, also kan ich woll davor verantworten, daß es gutt ist. Ich bitt, kauft mir einen ballen undt schreibt mir, waß es kost! so will ichs Eüch mitt danck bezahlen. Ich weiß nicht, wie die welt geworden ist, aber man hört von allen ortten nichts mehr, alß unglück, betrübtnuß undt hertzenleydt. Die hertzogin von Weymar jammert mich von hertzen; aber, wie Ihr mir ihren printzen beschriben habt, so war er[12] woll ohnmöglich, daß er leben könte. Ich habe es remarquirt, alle gutte gemühter seindt die, welche ahm meisten leyden; aber auff gottes geheimbnuß kan man nicht raisoniren, alles muß sich in seinen willen ergeben. Ich kan nicht begreiffen, wie ein oncle undt neveus zugleich zu Weymar regiren können; mein leben habe ich daß nicht gehört; den ist der neveu majeur, so kan der oncle nicht regieren, undt ist er es nicht, so kan er ja seiner stieff fraw mutter nichts zu leydt thun, also kan ich nichts hirin begreiffen. Ob ich zwar so hertzlich betrübt bin, liebe Louise, auch so, daß ich kaum vor threnen mein papir sehen kan undt mit mühe schreibe, jedoch will ich Eüch noch bitten, I. L. der printzes von Wallis zu sagen, daß, in welchem standt ich mich auch finden mag, daß ich doch allezeit I. L. ehren, lieben undt trewe, wiewoll sehr unütze, dinnerin verbleiben werde. Sie hatt mein contrefait nur in brustbildt begehrt undt man arbeydt fest dran; brustbilder setzt man auch auff camin. Sobaldt alß ich ein wenig ruhiger sein werde, werde ich die begehrte pitschir ohnfehlbar schicken. Deß könig Georgen medaille, wie I. M. ertzschatzmeister worden, habe ich schön in silber undt daß ist schon [619] genung. Ob die princes von Wallis zwar ihre zeit hatt, so können I. L, doch gar woll schwanger sein, undt wen die schwangere weiber so sein, so bedeütt es alß einen sohn. Madame de Soubisse,[13] die vor etlichen jahren gestorben, undt madame la Dauphine haben es so gehabt mitt ihren söhnen. Sagt den artigen princessin, daß ich ihnen sehr verobligirt bin, mir die ehr zu thun wollen, zu schreiben, allein daß ich zu viel consideration vor sie habe, sie mitt einer alten-weiber-schriefft zu importuniren! Ich bin fro, daß mein contrefait, so ich der Colbin geschenckt, auß der Judengaß in so gutten händen kommen. Ich finde es recht hübsch ahn freüllen Gemingen, daß sie nicht will, daß ihre printzessinen ihre muttersprach vergeßen sollen. Der kopff threhet mich von viellem weinen, ich muß enden. Adieu, liebe Louise! Ich bin woll in der seelen betrübt, daß weiß mein gott, undt habe es auch woll große ursach, mehr, alß ich es Eüch sagen kan; aber so lang ich mein ellendes leben schlepen werde, so seydt versichert, daß ich Eüch recht lieb behalten werde!
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 27. August 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 614–619
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0724.html
Änderungsstand:
Tintenfass