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Brief vom 6. September 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


725.


[619]
Versaille den 6 September 1715.
Hertzallerliebe Louisse, es ist gar lang, daß ich Eüch nicht geschrieben habe, aber es ist mir gantz ohnmöglich geweßen; bin bißher so accablirt geweßen undt so hertzlich bedrübt, daß es mir ohnmöglich geweßen, zu schreiben, hab meine arme naße augen zu [den briefen] vor mein dochter freytag undt dinstag gespart. Vergangen sontag ist unßer seeliger könig gestorben umb halb 9 morgendts.[1] Ihr könt woll gedencken, daß ich viel vissitten habe entpfangen müßen undt geben undt viel brieff entpfangen undt schreiben. Heütte habe ich eines von Ewern lieben schreiben entpfangen vom 2 September / 22 Augusti; vorgestern habe ich daß vom 18/29 Augusti auch bekommen, kan aber ohnmöglich heütte auff beyde andtwortten, nur auff daß letzte. Freyllich bin ich nun in voller [620] betrübtnuß, sowoll wegen deß königs verlust, alß auch daß ich in daß verfluchte Paris muß undt vor ein gantzes jahr. Werde ich aber kranck, so gehe ich durch undt gehe nach St Clou. Mein gott, waß werde ich doch vor eine qual außstehen! Aber klagen hilfft zu nichts. Es ist beßer, daß ich auff Ewer liebes schreiben andtworte. Ich bin gantz naturlich; wen mir waß zu hertzen geht, muß ich es gantz entpfinden; bißher hatt es mich noch nicht geschadt; aber es ist doch war, daß ich einen großen trost entpfangen, daß daß gantze volck, die troupen undt daß gantze parlement vor meinem sohn geweßen sein undt seine feinde, die den könig auff seinen todtbett betrogen undt gegen meinen sohn haben unterschreiben machen, den affront gehabt, daß mein lieber sohn öffendtlich vor regent ist erkläret worden undt sie mitt ihrer caballe haben cediren müßen.[2] Mein sohn nimbt sich aber der sachen so abscheülich ahn, daß er weder nacht, noch tag mehr ruhe hatt. Ich sorge itzunder, daß er kranck drüber möge werden, undt sonsten fahren mir noch manche trawerige gedancken durch den kopff, die ich nicht sagen kan; also ist doch der trost nicht volkommen. Mein sohn hatt selber öffendtlich in parlement gesprochen undt man versichert, daß er nicht übel solle gerett haben. Danckt dem baron Görtz sehr vor sein compliment undt daß es mich freüdt, daß er sich noch vor mich undt die meinigen interessirt! Waß Ihr unß wünscht, könte ohne miracle geschehen, der junge konig ist gar delicat. Dieselbe minister, so zu unßers verstorbenen königs zeitten regirt, seindt noch in ihren platzen; also ist nicht zu glauben, daß sie weniger curieux sein, alß sie geweßen, undt muß man sich gefast halten, daß die brieffe noch geöffnet werden. Zu Paris ist es [621] schir ohnmoglich, daß ich mich conserviren; den waß mich bißher die gesundtheit erhalten, war die lufft undt exercitzien, jagen undt spatziren fahren. Zu Paris habe ich weder lufft, noch exercitzien; waß drauß werden wirdt, soll die zeit lehren. Waß gott will, da werde ich mich in ergeben; aber die abscheüliche boßheit undt falschheit der weldt verleydt einem daß leben sehr. Von aller weldt geliebt sein, kan ich mich woll gar nicht flattiren. Ich hore gern, daß könig Jörgen sambt seine gantz konigliche famille sich woll befinden; gott erhalte sie! Ich weiß nicht, ob ich Eüch nicht schon geschrieben, daß der portugaissischer ambassadeur hir so eine magnifique entrée gehalten, daß er goltt undt silber außgeworffen, medaillen von seinem könig. Ich wolte, daß printzes Caroline heütte eine schüßel mitt pfirsching gehabt hette, wovon wir dießen nachmittag geßen; sie wahren so süß, alß wen zucker drinen wer. Es ist leicht zu gedencken, daß die printzes von Wallis über printzes Carolline doll vatter-unßer hatt gelacht; es ist auch recht poßirlich. Mylord Stairs hatt mir der 2 elsten printzessinen contrefait geben. Ich finde, daß die elste waß von printz Ernst August hatt. Ich bitte Eüch, liebe Louisse, danckt doch I. L. die printzes von Wallis demütig vor daß gar ahngenehme pressent! Man rufft mich zur taffel, kan mein brieff nicht überleßen. Entschuldigt die fehler, liebe Louisse, undt glaubt, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 6. September 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 619–621
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0725.html
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