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Brief vom 10. März 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


896.


[201]
Paris den 10 Merts 1718, umb 8 morgendts (N. 57).
Hertzallerliebe Louise, ich will nun versuchen, ob ich auff Ewer liebes schreiben vom 22 Feb. werde follendts andtwortten [können]. Bekomme ich dießen nachmittag ein neües, werde ichs vor sontag sparen. Noch der zeit geht noch alles woll undt vergnügt mitt meiner dochter ab, aber es wirdt leyder baldt ein endt nehmen. Ehe Ihr dießen brieff entpfangen, werden meine lotheringische kinder wider weg sein, den sie wollen morgen über 8 tag verreißen. Daß hertz wirdt mir schon gantz schwer drauff. Sie wolten morgen weg, nehmblich der hertzog; den meine dochter bliebe gern lenger dar, aber der hertzog wolte morgen wider verreißen, ich habe die 8 tag erbetten. Mein dochter ist, gott seye danck, so fest in ihren gutten maximen befestiget, daß sie mitt allen menschen umbgehen kan, ohne zu fürchten, daß sie sich verderben wirdt. Wie aber die junge leütte nun sein, ist nicht erhört worden, die haar stehen einem drüber zu berg. Eine dochter, damitt ihr ihr vatter durch die finger sicht über ihre desbauchen, scheüet sich nicht, ihrem leiblichen vatter ein artig cammermägtgen zu vercouplen. Die mutter lest die sach geschehen, damitt man ihr auch waß zu gutt helt.[1] Suma, man hört undt sicht nichts, alß abscheülich sachen, wovor einem graust. Mein dochter gestehet, daß, ob ich ihr zwar dießes alles geschrieben hatte, daß sie es nicht so hatt glauben können, alß sie es taglich mitt ihren augen gesehen. Junge leütte glauben jetzt weder ahn gott, noch sein wort, wißen nicht, waß betten ist, also muß sie gott auch woll verlaßen. Es ist betrübt, in einer solchen zeit zu leben, wo einem gutten gemühte recht eckelt, mitt solchen leütten umbzugehen. Daß macht einem so müde, daß einem alles verleydt. Dancke doch gott von hertzen, daß mein dochter noch weiß, waß tugendt ist undt ein rechte abscheü vor daß hießige leben hatt; [202] daß ist mir doch ein rechter trost. Wie ich sehe, durch waß Ihr mir von deß kauffmanns sohn sagt, so fangen unßere Teütschen die englische maniren ahn, sich selbst umbs leben zu bringen; daß konten sie woll bleiben laßen. Die eltern seindt in dem fall zu beklagen, insonderheit wen sie ehrliche leütte sein. Die printzes von Wallis hatt mir die historie von dem buben von 18 jahren jahren verzehlt, so den könig in Englandt hatt ermorden wollen; hatt es gar keine scheü getragen, sondern gemeindt, er thue die schönste that von der welt. Ich fürcht alß, dießer konig wirdt kein gutt endt in Englandt nehmen, die teüffel haß[en] ihren könige zu sehr. Die sach mitt dem könig undt printzen wirdt woll so baldt kein endt nehmen; ich finde, daß die verbitterung wirdt täglich größer. Von den zweyen ju[n]gen hab ich gar nichts gehört. Ob die printzes zwar ihre princessinen undt kinder, können sie doch nichts desto weniger ins könig gebott stehen. Es ist in Englandt verbotten, man darff nichts herrauß schreiben. Hir im landt hatt sich weder die konigin, noch dauphinen ihrer kinder ahnzunehmen gehabt, der könig hatt vor alles gesorgt undt ihnen ihre leütte geben; daß die kinder aber herr vatter, noch fraw mutter nicht sehen, noch von ihren instructionen nehmen, daß ist viel zu hart. Ich habe den könig in Englandt allezeit ein wenig trucken undt hart gefunden, die englische lufft muß ihn noch mehr verhärt haben. Wie I. M. hir war, habe ichs ihm woll ins gesicht gesagt, daß er zu trucken ist. Freündtlich habe ich ihn mein leben nicht gesehen, aber woll hofflich, doch mitt truckenen maniren. Es ist von allen menschen, narren undt klugen, desaprobirt, daß der könig in Englandt so lang böß über seinem eintzigen sohn ist, undt abbé de Buquoy hatt hierin groß recht. Ihr gebt mir ein großes lob, zu sagen, daß Ihr so persuadirt seydt, daß ich ein gutt hertz undt gemüht habe. Ich werde mich befleißigen, Eüch nie hirvon zu desabussiren. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet von 22 Febr. Ich komme jetzt auff daß von 15, so mir noch uberig. Ey pfui, liebe Louise! waß façon macht Ihr mitt mir, daß Ihr sagt, Ihr hett es zu frey gemacht? Wen kont Ihr finden, so Eüch naher ist undt mehr part nimbt in alles, waß Eüch ahngeht, alß ich? Warumb macht Ihr doch solche complimenten, die mich mehr beschwehren, alß alle Ewere klagten? Den ich mag die complimenten nicht vertragen, insonderheitt von leütten, so mir lieb sein. Auß meinem letzten schreiben werdet Ihr [203] ersehen haben, wie ich ahn Churpfaltz vor Eüch geschrieben habe. Gott gebe, daß es einen gutten effect thun mag undt ich Eüch zu waß nutzen könte! Daß ein jeder in dießer welt seine last hatt, ist woll war. Der fraw von Rotzenhaussen ihr unglück ist, daß ihre dochter von Bernholt gar nichts deücht. Wen sie nur desbeauchirt wehre, daß wehre in jetzigen zeitten eine gemeine sach undt were nur wie hunderttaußendt andere; aber sie ist falsch undt escroq[ueuse].[2] Ich bitt Eüch, sagts nicht nach! aber sie hatt falsche zettel auff ihre mutter, schwester undt einen graffen von Manderscheydt [gemacht]; also damitt die sach nicht lautt wirdt, muß die arme fraw gelt suchen, die wuste zettel zu zahlen, damitt die dochter mitt die falsche zettel [nicht] in gericht gefordert mögte werden, welche[s] eine ewige schandt mögte nach sich ziehen. Also ist die arme fraw woll zu beklagen. Die Bernholden ist die elste von der fraw von Rotzenhaussen 3 dochter, die Wilhelme ist die zweytte undt die fraw von Reding die tritte, so nun wittwe ist. Aber ich muß nun eine pausse machen undt mich ahnziehen; den es wirdt spät, hatt schon lang 11 uhr geschlagen.
Donnerstag, den 10 Mertz, umb halb 5 abendts.
In dießem augenblick komme ich de la Place-Royale, wo ich der großhertzogin eine vissitte gegeben, welche, gott lob, in gar gutter gesundtheit ist. Ich glaube, ich habe Eüch schon heütte morgen gesagt, daß meine lotheringische kinder nach Chelle[3] sein, mein enckel, mademoiselle d’Orleans, zu besuchen, die dieße oncle undt tante ihr leben nicht gesehen. Aber ich komme wieder auff Ewer schreiben, wo ich heütte morgen geblieben war, wie ich mich habe ahnziehen müßen. Es scheindt, alß wen eine discorde in der gantzen welt außgestrewet were; sollen es woll vorbotten vor dem jüngsten tag sein? Den weillen ja clar in der heylligen schriefft, daß vor dem jüngsten tag so großer zweytragt[4] in der welt sein wirdt, daß vatter undt sohn gegen einander, mutter undt dochter auch sein werden vor dem jünsten tag, so gehts jetz[t] überall her.[5] [204] Ein bischoff, so seyder etlich undt 40 jahren her mein gutter freündt ist, verzehlte mir vor etlichen tagen, daß schir kein hauß in Paris ist, leütte von qualitet oder burger, wo nicht zweytracht ist. Daß ist doch etwaß abscheüliches. Aber waß kan doch der landtgraff von Darmstag[6] gegen seinem herrn sohn haben? Ich bitte Eüch, liebe Louisse, wen Ihrs erfahrt, so schreibt mirs! Daß geschrey geht hir, daß die printzes zu Neuburg ins kindtbett von einer printzes gekommen ist. Apropo von dießer printzes, unßer artiger printz, so wir hir gehabt haben, von Sultzbach, hatt heütte abschiedt von mir genohmen, gehet nach Turin undt von dar nach hauß. Daß arme kindt hatte die threnen in den augen, geht bitter ungern hir weg. Aber man ruft mich, ich muß auß complaisance ins opera. Wir kommen in dießem augenblick auß dem opera undt es ist 3/4 auff 9, kan also ferner nichts auff Ewern 3ten brieff andtwortten, werde daß überige vor ein andermahl ersparen undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Ich kan meinen brieff nicht überleßen, mag woll voller fehler sein; aber es seindt so viel leütte in meiner cammer undt ein solch geraß, daß ich nicht weiß, waß ich sage. Ob Ihr er[7] werdet errahten konnen oder nicht, mag gott wißen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. März 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 201–204
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0896.html
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