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Brief vom 7. Dezember 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1076.


[335]
Paris den 7 December 1710 (N. 44).
Hertzallerliebe Louisse, es geht mir wie man im frantzöschen sprichwordt sagt: Je suis comme un asne entre deux prés qui ne sait au quel aller[1]. Den ich habe dar[2] 2 von Ewern lieben schreiben [noch nicht beantwortet]; den, wie Ihr aus meinem letzten von vergangenen sontag werdt ersehen haben, liebe Louise, so habe ich ohnmöglich mehr, alß zwey bogen, von Ewerem lieben schreiben vom 18 beantworten können. Ich glaube aber, daß ich bey dem frischten ahnfangen muß vom 21 November, no 92. Die posten gehen überall gar übel; die boße wegen sollen schuldig dran sein. Aber die englische brieff, das die fehlen, daß muß der windt thun; den er hatt starck auff der see gestürmbt. Der könig in Englandt ist doch gar glücklich nach Englandt ahnkommen, aber seine damen seindt im stich geblieben, alß die duchesse de Candel[3] undt ihre niepcen; aber [sie] wirdt sich schon baldt wider finden, den unkraudt vergeht nicht. Ich glaube, daß der fehler von der post nun wieder gantz ersetzt wirdt sein undt daß ich es dießen nachmittag durch eines von Ewern lieben schreiben erfahren werde; den es ist nun erst halb 8 uhr undt kaum tag. Man bringt mir auch meine brieff erst nachmittags. Die unrichtigkeit der post macht einem oft recht ungedultig. Aber es ist doch kein raht dazu; es geht seinen weg, wie es den herrn postillonnen gefelt. Aber Ihr sagt gar recht, liebe Louisse, nach dem teütschen sprichwordt: Gegen windt undt wetter kan man nicht. Es war nicht die printzes de Conti, wie die zeittung gesagt, sondern mademoiselle de Vallois, deren daß accident wiederfahren, daß sie sich ahn eine thür gestoßen au bois de Bo[u]logne[4]; aber sie befindt sich gar woll davon, ist auch nicht mehr so verzweyffelt, alß sie geweßen, eine braudt geworden zu sein. Ich wolte, daß sie so froh drüber sein könte, alß ich es bin, daß ihr heüraht geschloßen. Daß der comte de Charoloy[5] auch eine printzessin von Modene heürahten wirdt, halte ich vor gar gewiß, wie auch, daß die hertzogin von [336] Hannover ihre encklin außsteüern wirdt. Sie hatt ihren petit neveu, den comte, woll so lieb, alß ihre enckellen; den wie er zu Modene geweßen, hatt er sie sehr geschmeichelt, umb seiner groß fraw mutter, madame la princesse, zu gefahlen; den alle die printz[en] undt princessinen du sang seindt hinter ihr drein, weillen sie durch madame de Vandosme[6] todt gar reich geworden ist. Ein jedes wolte gar erp[7] sein. Ich fürchte, die arme printzes wirdt nicht gar lang mehr leben, welches mir woll von hertzen leydt solte sein; den außer der nahen verwandtschafft, so unter [uns] ist, habe ich eine rechte estime vor die tugendtsame fürstin. Sie wirdt erschrecklich mager, sicht bitter übel auß, thut nichts, alß weinen; daß kan auff die lenge kein gutt thun. Sie kan sich ihrer dochter du Maine unglück nicht getrösten. Ihre bedinten persuadiren sie, daß madame du Maine gantz unschuldig ist; findt mich also gar hart, daß ich nicht meinen eüßersten fleiß ahnwende, sie auff freyen fuß zu stellen. Ich habe ihr bladt herauß gesagt, daß, wen sie gegen mein eygen leben conspirirt hette, wolte ichs ihr madame la princesse wegen von hertzen vergeben, aber gegen meines sohns leben undt gegen den staht conspirirt zu haben, da könt ich nichts gegen sagen, daß ist mir zu sensible, die boßheit were zu groß. Es ist nicht daß hertzogthum Degiche[8], wie Ihr meint, liebe Louisse, daß die hertzogin von Hanover undt madame la printzesse haben. Dießes hertzogthum ist im hauß von Gramont undt der elste sohn vom duc de Gramont führt den nahmen vom duc de Guiche. Aber waß meine 2 baßen haben, ist die duché de Guisse[9]. Wir alle hetten gern gesehen, daß der comte de Charoloy mademoiselle de Vallois genohmen hette; er hatt es aber bladt abgeschlagen, er kan sie vor seinen todt nicht leyden. Ihr segt hirdurch, Louise, daß Ihr Eüch nicht betriegt, wen Ihr glaubt, daß ich die sache beßer weiß, alß die gassettier[10]. Ich kene mademoiselle de la Houssaye, habe sie bey der kleinen printzes de Conti, deß printz de Conti fraw mutter, gesehen, bey welcher sie vor dießem in dinsten. Ich habe nichts von ihrer avanture gehört; sie kan doch woll wahr sein; den ich weiß wenig neües, aber ich weiß eine zeittung, so mich woll von hertzen jamert. Der marquis de la Varene[11], den ich lengst [337] kene, kam morgendts zu mir undt verzehlte ein unglück, so sein[e]r dochter widerfahren, so ich gar woll kene undt ihren man auch. Er ist ein Irlander undt hatt viel verstandt, heist monsieur du Bourg; mademoiselle de Varene hatt ihn gegen ihrer eltern willen genohmen; sie haben doch endtlich drin consentirt. Dieße dame war zu Genoua[12], weiß nicht, auß waß ursachen; wolte wider nach Spanien zu ihrem man. Es muß dem marquis de Varene ein pressentiement kommen sein; er schreibt ahn seine dochter, sie solle bey leibe nicht zu see gehen, ob der trajet zwar kurtz seye; den man kan in 24 stunden überkommen, aber zu landt muß man viel tag unterwegen sein. Daß hatt die arme madame du Bourg ungehorsam ahn ihrem vatter [gemacht][13]; den ob sie ihm zwar versprochen, mitt ihren zwey kindern über landt zu gehen, hatt sie sich doch embarquirt; ihr ungehorsam aber hatt übel gelungen, den sie ist auff daß genouaische schiff von den Algeriens gefangen worden undt dieße Türcken seindt mitt aller weldt in frieden außer mitt Gene[14]. Daß ist woll eine abscheüliche fatalitet; sie jamm[e]rt mi[c]h doch von hertzen. Der marquise de Foy, die mein freüllen geweßen undt Hinderson hieße, ist eine avanture begegnet, wie ahn die madame de la Houssaye. Sie wurde kranck zu Mastricht, fiel in eine so abscheülich lestargie[15], daß sie kein aug, noch nichts mehr rühren konte, so daß man sie gantz vor todt hilte. Sie konte doch wohl hören undt sehen, aber keine stim von sich geben, auch, wie schon gesagt, nichts rühren, horte undt sahe, wie man ihr lichter umbs bett setzte, ein groß crucifix vors bett mitt zwey silberne leüchter stelte, wie es bey den Cathollischen brauchlich ist. Man behunge auch die gantz kammer mitt schwartz duch undt schrieben auff ihrem bett selber; man befahl auch, daß man den sarck bringen solte, wo man sie nein legen [wollte]. Wie sie daß horte, thate sie einen so abscheülichen effort, daß ihr die zung gelöst wurde, undt rieff lautt: Thut mir diß alles weg undt gebt mir zu eßen undt zu drincken! Alles, waß in der kamer wahr, erschracken so unaußsprechlich, daß alles vor schrecken über einen hauffen fiehl. Sie hatt noch 3 jahr hernach gelebt undt lebte vielleicht noch, wen sie nicht eine stiege herunder gefahlen undt viel locher im kopff bekommen, woran sie [338] gestorben. Daß ist schon eine alte geschicht; den es ist schon woll 15 oder 16 jahr, daß die arme marquise de Foys[16] gestorben ist. Es ist gewiß, liebe Louise, daß es eine abscheüliche sache ist, gar zu alt zu werden; mir ist recht bang darvor, den es ist gewiß, daß daß so gar hohe alter überall unahngenehm. Aber Ewerem schwager kam der boße humor nicht vom alter, er war all sein leben so geweßen undt [hat] hir allezeit vor incompatible passirt; sein herr vatter aber undt jüngster bruder wahren die besten leütte von der welt[17]. Deß königs in Schweden, des letzt verstorben[en][18], leben hatt man hir auch. Wie ich von Churpfaltz hatte reden hören, hette ich mein leben nicht gedacht, daß dießer herr sich den pfaffen so unterwerffen würde; hatt ja vor raisonable passirt, undt sich durch pfaffen regieren zu laßen, ist gar nicht raisonabel. Aber leütte, so in ihrer jugendt nicht gar ortendtlich gelebt haben undt alt werden, denen machen die pfaffen die hölle heyß undt weiß[19], daß alles wider gutt gemacht würde sein, wen sie nur gegen Reformirten undt Lutherischen sein undt sie plagen. Daß hirn schwächt[20] mitt der zeit undt mitt dem alter; so geht es Churpfaltz jetzt. Gott der allmachtige wolle ihm die augen offnen, damitt meine gutte landtsleütte ruhe undt frieden bekommen mögen, welches ich ihnen woll von grundt der seelen wünsche, undt alle böße pfaffen ihren verdinten lohn bekommen mögen! Der churfürst solte alle pfaffen, so ihm so bößen raht [geben], vor den teüffel jagen; daß würde andere raisonabler machen undt Churpfaltz einen religionskrieg verspar[e]n. Ich finde könig Hiskiahs[21] gebett gar gutt, sage von hertzen amen dazu. Hiemitt ist Ewer letztes liebes schreiben vollig beantwortet, liebe Louisse! Ich komme jetzt ahn daß, wo ich vergangen sontag geblieben war. Hatt Sanct Martinus nicht die anchere[22] auff die gänß undt welsche hüner gebracht? Den mich deücht, selbigen tag werden dergleichen viel geßen. Die lufft ist ärger zu Paris, alß nie. Monsieur de Bellegarde hatt seiner frawen baldt gefolgt; den es ist noch nicht zwey mont, daß sie gestorben ahn den heßlichen kinderblattern; selbigen weg hatt er gefolgt[23]. Monsieur le [339] duc Dantin[24], sein herr vatter, solle sehr betrübt sein; er hatt zwar noch einen sohn; er ist aber prister worden, also von der gantzen famille nichts mehr überig, alß 2 kleine kinder von seinem elsten sohn, so zu Versaille gestorben, monsieur de Gondrin. Wen sie werden solten, wie die großmutter, madame de Montespan, geweßen! Den daß war woll ein lebendiger teüffel in allen stüken. Gott verzey mirs! man soll nicht judiciren, aber ich kan nicht laßen, zu zweyfflen, daß die Montespan undt die Maintenon seelig sein werden; sie haben gar zu viel übels in der welt gestifft; gott wolle es ihnen vergeben! Wen die zeit kompt, daß man ordinarie wider in die statt kompt, so würde man hundert fragen gethan haben, warumb ich nicht kome; man würde sagen, ich were mitt meinem sohn brouillirt undt hundert historien drauff machen. Es ist etwaß unbegreiffliches, wie erschrecklich[er] reichtum jetzt in Franckreich ist; man hört von nichts, alß millionen, sprechen. Ich begreiffe nichts in der welt von der sach. Wen ich von allen den reichtumen höre, denck ich, daß der gott Mamon jetzt zu Paris regirt. Aber ich muß meine pausse jetzt machen. Nach dem opera werde ich dießen brieff außschreiben; den gleich nach dem eßen muß ich zur großhertzogin, deren ich schon von St Clou auß versprochen, heütte eine vissitte zu geben.
Donnerstag umb 8 abendts.
Ich komme auß dem opera, welches woll daß närischte stück, so ich in langer zeit gesehen; es hatt weder händt noch füß, ahnfang noch endt; auch hab ich braff drin geschlaffen undt so woll, daß ich fürchte, zu viel geschlaffen [zu haben] undt daß ich dieße nacht lang werde sein, ohne zu schlaffen. Aber ich komme wieder auff Ewer liebes schreiben, will nur noch vorher sagen, daß ich heütte keines von Eüch entpfangen. Ich war ahn der graffin von Warttenberg. Ich glaube, daß sie undt ihr Flor beyde sagen [340] können, wie der chevallier a la mode[25]: Celles qui ne nous oront point, ne seront pas les plus malheureux. Aber da schlegt es halb 10, ich muß wider willen enden undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 7. Dezember 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 335–340
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1076.html
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Tintenfass