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Brief vom 2. August 1696

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


248.


[250]
Port Royal den 2. Augusti 1696.
… Mons. Helmonts meinung will mir nicht recht im kopff, denn ich kan nicht begreiffen, was die seele ist undt wie sie in einen andern leib kan kommen; nach meinem schlechten sinn zu raisoniren solte ich eher glauben, daß alles zu grunde geht, wenn wir sterben, undt nichts von unß übrig bleibt, undt jedes element, wovon wir worden, seine parthie wider zu sich nimbt; umb wider waß anderß zu machen, es seye ein baum oder kraut oder sonst waß, das wider zur nahrung der lebendigen creaturen dint. Die gnade Gottes, deücht mir, kan allein die seele unsterblich glauben machen, denn natürlicher weiße kompt es einem eben nicht im kopff, insonderheit wenn man sicht, wie die leütte werden, wenn sie einmahl gestorben sein. Gott der [251] allmächtige ist so unbegreifflich, daß mir deücht, daß es seiner allmacht zuwider undt zu kleinerlich ist, wenn wir ihn in den schrancken unßer ordre wollen einschließen. Wir menschen, die reglen haben, können gutt oder böß sein, nach dem wir die reglen folgen oder dawider thun; aber wer kan dem Allmächtigen gesetze geben? Auch ein rechtes zeichen, daß wir nicht begreiffen können, was Gottes güte ist, ist, daß unßer glaube unß weist, daß er zwey menschen erstlich erschaffen, denen er geratt einen ahnstoß geben, umb zu fehlen, denn was war es nöhtig, einen baum zu verbietten, hernach den fluch auff alle die zu setzen, so nicht gesündigt hatten, indem sie noch nicht gebohren waren? Nach unßer rechnung geht das geraht gegen gütte undt gerechtigkeit, indem die gestrafft werden, so nichts davor können undt nicht gesündigt haben. Weitters lehrt man unß, daß Gott der vatter seinen eintzigen sohn vor unß geben hatt; das war ja nach unßer rechnung auch nicht gerecht, denn der sohn hatte nie [gesündigt] undt konnte nicht sündigen; also deücht mich, daß es ohnmöglich ist, zu begreiffen, was Gott mitt unß macht, derowegen nur seine allmacht zu admiriren ist, aber ohnmöglich von seiner gütte undt gerechtigkeit zu raisoniren. … Ich habe die freyheit genohmen undt E. L. schon letzmahl meine meinung über der jünger Christi frage wegen des blindtgebohrnen[1] gesagt, doch [will] dieß noch hinzusetzen, daß ich nicht finde, daß es eine preuve ist, daß die seele in einen andern leib gehet, denn weillen ja alle juden undt christen glauben, daß wir durch Adam seindt verlohren worden, so unßer aller vatter war, so haben die jünger auch leicht glauben können, daß man der leiblichen vätter sünde tregt, undt also selbst alß sündige menschen gebären; aber unßer herr Christus leügnet, daß er vorher, ehe er geboren worden, gesündigt hette, denn er sagt, daß weder der blindtgebohrne noch sein vatter gesündigt hette, sondern daß es geschehen, daß die wercke Gottes gesehen werden möchten undt seine ehre geprießen werde. Also zerschlegt unßers herrn Christus andtwort mons. Helmonts meinung. Ich bin woll E. L. meinung, daß diese opinion ein schlechter trost ist, denn man behelt nur, wie man stirbt, aber man weiß nichts von widerleben. Ich finde es auch nicht zum besten, daß man nichts weiß von seiner jugendt; ich wolte aber gerne vergeßen, im mutterleib geweßen zu sein, denn das solte einen eckellen. Mons. Helmonts zufriedenheit undt ruhig gemühte das mögte ich gerne lehrnen …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 2. August 1696 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 1 (1891), S. 250–251
Onlinetext URL: http://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d07b0248.html
Änderungsstand:
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