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Brief vom 22. August 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


703.


[223]
Versaille den 22. Augusti 1709.
… Wie ich eben in Paris durch die pfordt St. Honnoré fuhr, sahe ich alle leütte lauffen undt gantz verstebert außsehen; etliche sagten: ah mon Dieu; alle fenster waren voll leütte, etliche waren auff die dächer geklettert, unten sahe man alle boutiquen zumachen undt die thüren von den heüßern verschließen; palais Royal selber war zu. Ich konte nicht begreiffen, was das bedeüt, wie ich aber in den innern hoff kame undt außstiege, kam eine bürgersfraw, so ich nicht kene, undt sagt zu mir: savés vous, Madame, qu’il y a une revolte dans Paris qui dure depuis 4 heures du matin[1]. Ich meinte, die fraw were närisch worden undt fing ahn zu lachen; sie sagte aber: je ne suis pas folle, Madame, ce que je vous dis est tres vray et si vray qu’il y a deja 40 personnes de tués. Ich fragte von meinen leütten, obs wahr were? Sie sagten, es were nur gar zu wahr, deßwegen hetten sie die thore vom palais Royal zugemacht. Ich fragte die ursach von der revolte; die war, daß man ahn dem wall undt porte St. Martin arbeydt undt jedem arbeyter 3 sols undt ein leib brodt gibt; es waren 2000 so arbeyten, selbigen morgen aber waren, ohne daß man sichs versehen hatte, 4000 kommen, die forderten brodt undt gelt mitt ungestüme, undt wie mans nicht hatte undt ein weib sehr insolent war, nahm man sie undt setzte sie alancan[2]. Da ging der lermen ahn undt ahnstatt 4000 kamen gleich noch 6000 dazu undt rißen das weib vom carcan loß. Es hatten sich viel abgedanckte laquaien dazu geschlagen, die rieffen, man müste plündern; lieffen zu beckersheüßer, welche sie plünderten. Man rieff die soldats de garde, umb auff die canaille zu schießen; sie merckten aber, daß man es nur gethan, umb sie zu erschrecken; es war kein bley in den mousquetten; da rieffen [sie]: attaquons les; ils n’ont point de plomb. Also waren die soldatten obligirt, etliche niederzuschießen. Das wehrte so von 4 morgendts biß umb 12; da fuhren ungefehr der marechal de Bouffler undt duc de Gramont durch den ort, wo die revolte war undt die stein flogen; sie stiegen [224] auß ihrer kutzsch, sprachen dem peuple zu undt wurffen gelt auß undt versprachen, dem König zu sagen, wie man ihnen brodt undt gelt versprochen undt nicht geben hette. Da wurde gleich der auffruhr gestilt, sie warffen gleich ihre hütte in die lufft undt rieffen: Vive le Roy et du pain! Es seindt doch gutte leütte, die Pariser, sich sogleich wider zu besanfftigen. Gestern seindt sie alle auff den marckt gangen undt gar friedlich geweßen; aber so sehr sie ihren König undt Königlich hauß lieben, so sehr haßen sie mad. de Maintenon. Ich wolte ein augenblick lufft nehmen, weillen es warm war in meinen cabinetten, so niederich undt klein sein, aber ich war kaum dar, so kam ein großer zulauff vom peuple, die gaben mir viel seegen, sie fingen aber alle ahn, so abscheülich von der damen zu reden, daß ich gezwungen wurde, wider herein zu gehen undt die fenster zu zu machen; sie sagten blat herauß, sie mögten sie haben, umb sie zu zerreißen oder alß eine hexs verbrennen. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 22. August 1709 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 223–224
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0703.html
Änderungsstand:
Tintenfass