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Marly den 24. Aprill 1712.
… Nun, da die nachtigallen singen, daß da E. L. noch zu
Hannover undt nicht zu Hernhaussen sein! Da könten sie beßer spatziren alß
zu Hannover. Ich schreibe E. L. hir vor meinem fenster, habe zur außsicht
ein schön parterre voller narzißen, tulipanen undt couronne imperiale, das
ist umbringt mitt zwey alleen undt ein fer à cheval
[1] von weiß, braun undt
rotten marber; in der mitten ist eine große steinerne stiege undt auff beyden
enden seindt auch stiegen mitt statuen ornirt undt weiß marbre blumenpott.
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Geraht vor der stiege ist ein berg, wo die cascade herunter felt, so man la
riviere heist, welche oben undt unten voller statuen von weißem marbre
geziehret, auff den seytten aber seindt nur zwey breitte platte bande
[2] von
gazon; zwey alleen seindt auff beyden seytten, daß man dort mitt caleschen
’nauff fahren kan. Da sehen E. L., daß ich eine schöne außsicht habe, es
gibt mir aber leyder keine artige inspirationen … Über dür sein kan ich
nicht klagen, aber woll so dick zu sein, daß ich keine hundert schritt gehen
kan ohne wie ein tantzbär zu schnauffen, da seindt E. L. doch Gott seye
danck von befreyt … Wenn ich gedencke, daß ich E. L. mein leben nicht
mehr sehen werde, so kan ich das weinen nicht halten. E. L. weinen zwar
nicht so leicht, alß ich, aber sie betrüben sich doch innerlich undt das thut
noch mehr schaden alß wenn man weint. Auß E. L. schreiben solte man
woll ohnmöglich Dero alter errahten, denn sie haben dieselbe schrifft, so fest
undt deütlich zu lesen, alß sie vor 50 jahren war; ich kan es confrontiren,
denn ich habe noch alle E. L. gnädige schreiben, gantze kisten voll, undt E.
L. schreiben auch noch eben so lebhafft, daß mir eine rechte lust zu leßen
gibt undt in allem mein gröster trost ist …