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Brief vom 7. September 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


803.


[318]
Fontainebleau den 7. September 1712.
… In dem letzten großen paquet hab ich E. L. den pasport geschickt vor den gutten hertzog von Braunsweig[1] undt seine fraw dochter, die abtißin von Gandersheim[2], umb durch Hollandt nach Achen zu gehen. [319] Aber ich kan mir nicht einbilden, daß ein mensch, so nicht nonnenfleisch genung gehabt, in ein lutterisch stifft zu bleiben, in ein verspert catholisch closter wirdt dawern können; ich fürcht, sie wirdt durchgehen. Ins kindtbett zu kommen, ist ein doller vorbott, ins closter zu gehen, sie wolle es denn machen wie eine abtißin von Maubisson, die bey ihrem bauch schwur, so 14 kinder getragen hette; ich habe auch die cammer gesehen, wo sie ins kindtbett kommen … Ich wolte, daß E. L. nach der braunsweigischen meß gereist weren, denn ob zwar der gutte hertzog mitt recht betrübt ist, würden E. L. doch woll waß undt er selber gesucht haben, die melancoley zu vertreiben. Nichts tröst mehr in betrübtnuß, alß denen, so man lieb hatt undt in welche man sein vertrawen setzt, sein unglück zu klagen. Der gutte alte herr jammert mich woll von hertzen, bin recht böß über seine leichtfertige dochter, daß sie ihm diß hertzenleydt zuwegen gebracht, undt noch mitt einer so gar impertinenten avanture. Ich finde nicht, daß es reputirlicher vor die abdißin von Gandersheim ist, bey einem unbekandten geschlaffen zu haben, alß bey ihrem hoffmeister, von dem sie so verliebt war; eines deücht eben so wenig alß das ander, undt deücht mir, daß eine große passion noch eher zu entschuldigen ist, alß eine desbauche de sang froid undt ohne den menschen zu kennen. Aber sie hatt alles gar zu doll ahngefangen undt eben alß wenn sie es mitt fleiß offenbahren wolte. Das were schwer zu glauben, daß jemandts bey einer person schlafft, daß sie schwanger davon wirdt, undt durchs fenster steigt ohne daß die fürstin von Schwartzenburg, ihre fraw schwester[3], es gewahr kan werden. Dieße zwey fürstinen müßen einen hartten schlaff haben, wovon ich glaube woll kein [exempel ist]. In des hertzogs roman wirdt dieße historie gar nicht übel lautten, denn met verlöff so salvirt der gutte herr die grösten huren von der antiquitet: Messaline ist gantz unschuldig; wer der die ehre hatt salviren können, wirdt es auch woll viel mehr ahn seiner eygenen dochter zu thun suchen. Verliebte leütte haben alle die naredey, daß sie meinen, ihre lieb were so verborgen, daß es niemandts sehen kan, hütten sich also vor niemandts, seindt hernach gantz verwundert, wenn jederman davon spricht. Den heüraht, so Brauns[4] mitt dem freüllen hatt thun müßen, kan ich nicht begreiffen; mons. Brauns muß unsichtbare tugendten haben, denn die, so sichtbar sein, seindt mehr widerlich, alß ahngenehm.
Es ist kein wunder, daß der gutte alte hertzog über so eine schande betrübt ist. Ich glaube nicht, daß die avanture mitt Brauns die letzte ist von seiner dochter, der abtißin, undt wofern das closter zu Ruremonte ein recht verschloßen closter ist, wolte ich woll wetten, daß sie neüe scenen geben wirdt, denn sie muß gar kein nonnenfleisch haben …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 7. September 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 318–319
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0803.html
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