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Brief vom 10. Dezember 1712

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Sophie von Hannover


808.


[323]
Versaille den 10. December 1712.
… Ich glaube, daß die hertzogin von Zel[1] mitt ihrem liedt ihre religion endtlich, wie man hir sagt, pour chanson[2] halten wirdt; ich glaube, daß dießes unßere devotte raugraffin sehr scandalisirt. Ich finde ihre marquise de la Roche einfaltig, über so eine sach zu weinen. Was kan aber dieße hertzogin abhalten, sich catholisch zu erklären, denn wer fragt darnach, von welcher religion sie ist oder nicht. Ich erinere mich noch woll, zu Hannover die commedie von Wallenstein[3] gesehen zu haben, einer, so Leßle[4] heist, ersticht den Wallenstein zuletzt in einem bett mitt einer partisanen; ich erinere mich auch noch, daß, wie man die commedie von dockter Faust[5] spilte undt der teüffel den dockter Faust holte, kam die zeittung, daß der bischoff von Osnabrück[6] todt war, welches jederman lachen machte …
Wie E. L. Dero Lisselotte gesehen undt sie so woll lauffen undt springen konte, war sie leicht undt jung; nun bin ich alt undt schwer, das gibt große verenderung. Ich bin gewiß, daß, wenn ich so glücklich were, daß E. L. mich ahn einem ort sehen könten, so sie nicht vermuhten, daß ich da were, wenn ich nicht redte, würden sie mich ohnmöglich kennen. Meine verruntzelte augen, meine hengende große backen, meine schneeweiße haar, meine höhle zwischen den ohren undt backen, undt mein groß dopelt kin würde E. L. gar nicht ahn Lisselotte erinern. Ich gleiche mir selbsten in nichts mehr, mein langer halß ist gantz kurtz geworden, habe nun dicke breytte schulteren, abscheuliche dicke hüfften; meine bein seindt mehr alß dick, denn sie seindt sehr geschwollen. Da sehen E. L. woll, daß sie mich in dießer figur gar nicht kenen würden. Wenn ich den mundt auffthue, seindt meine zähn auch sowoll in einem ellenden standt: einer ist gebrochen, der ander ist schwartz, die überigen seindt zerbrochen; summa: überall ist ellendt in meiner gantzen person. Aber was will man thun? man muß woll sein parthie nehmen in was nicht zu endern stehet …
Ich bin gantz stoltz, daß E. L. meinen letzten brieff ahn den gutten hertzog[7] artig gefunden haben, da halte ich mehr von alß wenn mein brieff in der biblioteck von Wolffenbüdel würde behalten werden. Mich wundert, [324] daß hertzog Anthon Ulrich allezeit reyßet, da er doch einen so schönnen ort zu bleiben hatt … Es muß ein wildt weßen in Moscovien sein, ich finde also, daß herr Leibenitz groß recht hatt, nicht dahin gehen zu wollen. Ich bin alß charmirt vom Czaar, wenn ich sehe, daß er so viel mühe nimbt, sein landt zu verbeßern; biß nach Berlin, glaube ich, wirdt mons. Leibenitz gern folgen, umb die cronprintzes undt cronprintzen auffzuwartten … Seyder ich weiß, daß die freüden von jener weldt so sein: die kein ohr gehört, kein aug gesehen undt nie in keines menschen hertz kommen ist[8], mache ich mir gar keine idée davon, dencke nur, Gott ist allmächtig undt warhafft, er verspricht mir freüde, er wirdt schon mittel finden, daß ich es entpfinde, ob ich gleich jetzt nicht weiß, wie oder wann; darauff vertrawe ich … Ich rede gar wenig mitt dem König; I. M. laßen sich vom comte de Thoulouse[9] seine jagten verzehlen, wie auch wie er seine heüßer undt wälder zurichten lest, spricht auch mitt den printzessinen von ihren heüßern, wo ich denn hir undt dar ein par wordt zu sage. Der König thut mir auch die gnade, sich wegen meiner gesundtheit zu informiren, wovon ich rechenschafft gebe; etlichmahl rede ich auch so davon, daß ich I. M. lachen mache. …
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. Dezember 1712 von Elisabeth Charlotte an Sophie von Hannover
in: Briefe der Herzogin …, Hg. E. Bodemann, Band 2 (1891), S. 323–324
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d08b0808.html
Änderungsstand:
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