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Brief vom 13. September 1715

von Gottfried Wilhelm von Leibniz
an Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans


1.


[017]
13. Sept. 1715.
Durchleuchtigste Herzogin
Gnädigste Frau.
Meine Zeilen haben wohl zu zeiten das glück gehabt, vor E. Königlichen Hoheit augen zu kommen; ich habe aber [018] aus tiefster Verehrung mich noch nie erkühnet, an Selbige zu schreiben, zumahlen da der Durchleuchtigsten Churfürstin Vermittlung mich solcher freyheit überhoben. Nun aber, da diese fast unvergleichliche Fürstin unserer Welt entzogen und unter andern hohen gnaden, die sie mir erzeiget, diese eine der grösten gewesen, daß sie bey E. Königl. Hoheit mir einigen schrifftlichen Zutritt gemacht, so auch E. Königl. Hoheit unlängst in gnaden erlaubet, daß in Dero Paquet einige Briefe von mir kommen dürfften, so habe ich endtlich dafür gehalten, es würden E. Königl. Hoheit mir auch erlauben, solche hohe gnade durch ein eigen schreiben selbst in tieffster Unterthänigkeit zu erkennen, da vielleicht gar gezweifelt werden möchte, ob deßen unterlaßung mir nicht zu einem fehler berechnet werden köndte.
Ich bin also schohn eine geraume Zeit damit umbgangen, sonderlich von dem Tag an, da E. K. H. mir in gnaden wißen laßen, Sie würden mich nicht ungern gesehen haben, wenn ich, wie gesaget worden, eine reise über Franckreich nach England thun können. Diese so übergnädige nachricht erforderte eine Dancksagung, und hat mich nichts mehr daran verhindert und aufgehalten, als daß ich gezweifelt, ob ich meine empfindung darob kräfftig und anständig gnugsam außdrücken köndte. Ich kan es auch anjezo nicht beßer thun, als wenn ich sage, daß nichts mehr nach verlust der Churfürstin mich getröstet, als diese E. K. H. bezeigung: ich könne gleich deren annoch dermahleins genießen oder nicht.
Anjezo muß sichs fügen, daß eben, da ich meinen Entschluß vollstrecken wollen, mein Brief vergrößert wird und weniger leer ist, eine der größten Weltveränderungen eingefallen, die E. K. H. so nahe betrifft, und da man ihro billig das Leid zu clagen hat, daß die Welt einen der grösten Könige, so man weiß, und E. K. H. einen so großen und nahen Freund verlohren, der seinem vortrefflichen Verstand nach E. K. H. so hoch geschäzet, und nun Dero Herrn Sohns Königlicher Hoheit die Regirung seines Königreichs selbst bey unmündigen Jahren seines Klein-Enckels (wie vernehme) aufgetragen, welches nach solchem Verlust bey E. K. H. und allen Wohlgesinneten keinen geringen trost erwecken kan, indem nicht [019] allein dadurch der Friede in Europa und gemeine Ruhe befestiget wird, sondern auch dieser vortreffliche Fürst, Dero Herr Sohn, den Gott mit so großem Liecht, Wißenschafft und Gühte begabet, die Ehre, das Glück und die Vergnügung haben kan, der ganzen Christenheit und sonderlich seines Vaterlandes, mithin eines großen vortrefflichen Volcks, das er zu regiren bekomt, Wohlfahrt theils zu vermehren, theils zu wiederbringen; nachdem ein fast fünffzigjähriger, kaum durch kurze stillstände unter Friedens nahmen unterbrochener Krieg nicht nur Europa, sondern Franckreich selbst in groß unglück gestürzet, also daß ein hocherleuchteter Fürst, wie des Herrn Herzogen von Orleans K. H. fast nöthig und von Gott dazu bestimmet scheint, seines orths die Wunden zu heilen. Dazu zwey große Monarchen, die ich persönlich und sonderlich zu kennen und zu sprechen die gnade gehabt, der Kayser und der König von Groß Britannien, alles beytragen können und wollen; also daß uns Gott wieder einen anblick von einer güldenen Zeit (wie nach 1648) zu geben scheinet, der mich erfreuet, ob ich gleich nicht hoffen kan, deßen zu genießen. Ich wünsche aber, daß er länger währe, als der vorige, und daß E. Königl. Hoheit davon einen völligen und langen genuß haben mögen. Und wenn ich noch so glücklich seyn köndte, ein Zeuge von Dero und Dero Herrn Sohnes K. Hoheit Vergnügung zu seyn und zwischen Dero und denen beiden obgedachten Monarchen angenehme Bohtschafften außzurichten, würde ich darnach des Simeons lied anstimmen.
E. Königl. Hoheit wird zur gnüge bekand seyn, daß man die Kayserin vor schwanger hält und daß der König, mein Herr, da die Sachen in den Britannischen Inseln nach Wunsch gehn, noch dieses Jahr heraus zu kommen hoffet. Beydes wird E. K. H. nicht ohnangenehm seyn. Der von Schleiniz, Czarischer Minister, schreibt mir auß Braunschweig, man vermeyne, es werde der Groß Czar mit seiner Flotte bald heraus in Pommern kommen. Zu wünschen wäre gewesen, daß der König zu Schweden sich in handlung und stillstand einlaßen wollen, aber seine vorgefaßete Meynung ist unüberwindlich gewesen, und er also nicht zu retten, wie sehr [020] sich Kayser, Franckreich, England und Holland darumb bemühet.
Schließlichen muß ich noch einer sach gedencken, die ich mir allezeit hochlich angelegen seyn laßen: solches ist die Beförderung der menschlichen Wißenschafften. Der große König zu Franckreich hat ein ansehnliches dabey gethan und würde ein weit größeres gethan haben, wenn ihn die stäten Kriege nicht verhindert. Nun geschahe es bey diesem großen Herrn mehr aus Ehrliebe, als aus liebe der Wißenschafft selbst; da aber der jezige Regent der Cron Franckreich selbst ein solches Liecht hat, welches vielleicht kein König der alten Welt gehabt, wie sehr man deren Weisheit rühmet, so glaube und hoffe, es können und werden S. K. H. hierin solche anstalten machen, die über alles gehen, so für die Wißenschafften von Philadelphus, Caesar und Alfonsus geschehen; dadurch in einem Jahr mehr außzurichten, als sonst in hundert. Und würde ich mich glücklich schäzen, wenn meine wenigen gedancken und anregungen etwas beytragen köndten. Ich verbleibe lebenszeit in tiefster andacht
E. Königlichen Hoheit
unterthänigster
G. W. v. L.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 13. September 1715 von Gottfried W. v. Leibniz an Elisabeth Charlotte
in: Briefwechsel zwischen Leibniz …, Hrsg. E. Bodemann (1884), S. 17–20
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d11b0001.html
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