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Brief vom 6. Dezember 1682

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Kurfürstin Wilhelmine Ernestine von der Pfalz


39.


[065]

An Kurfürstin Wilhelmine Ernestine von der Pfalz.

Versaille, den 6. december 1682.
Hertzallerliebste Schwester. Ich hatte mir vorgenohmen, E. L. einen großen mächtigen brieff durch den graffen von Schomberg[1] zu schreiben, aber wie das sprichwort laut L’homme propose et Dieu dispose, so ist es mir jetzt auch ergangen. Den[n] vorgestern kam er her und sagte, daß er biß dinstag abendts weg würde, müste also meine brieffe montags haben. Selbigen tag konte ich nicht schreiben, weillen biß 6 immer leütte zu mir kammen, undt umb 6 must ich nauff zur königin; [066] den[n] es war jour d’apartement. E. L. wissen nicht, waß das bedeütt, will es aber baldt sagen, so baldt ich werde außgerett haben. Gestern schriebe ich ahn mein bruder[2] undt Carolina[3] undt wie ich ahnfangen wolte, ahn E. L. auch zu schreiben, kammen meine cammerweiber, um mich zu butzen; den[n] umb 7 war ein verfluchter bal, bey welchem ich wider meinen willen undt danck sein muste; den[n] ich hasse jetzt von allen divertissementen nichts mehrers alß das tantzen. Heütte habe ich eine audientz gehabt von einem envoyé von Parme, darnach hab ich einen großen brieff müssen ahn die königin in Spanien[4] schreiben, undt umb 8 muß ich mit md. la dauphine[5] in eine neüe comedie. Bleibt mir also nichts alß dieße stunde überig; den[n] morgen gleich nach deß königs meß muß ich mitt I. M. auff die jagt, undt nach der jagt wirdt es waß spät sein zu schreiben; den[n] es ist wider jour d’apartement. Damit E. L. aber begreiffen mögen, waß dießes ist, so müssen E. L. wissen, daß der König hier eine große gallerie lest bauen, so von seinem apartement biß in der königin ihres geht. Weillen aber solche gallerie noch nicht gantz fertig ist, hatt der könig das theill, so außgemacht undt gemahlet ist, unterschlagen lassen undt einen salon davon gemacht. Alle montag, mittwog undt freittags seindt jour d’apartement. Da versammellen sich alle mansleütte von hoff ins königs entichambre undt alle weiber umb 6 in der königin cammer. Hernach geht man alle mitt einander in den salon, wo von ich alleweil gesprochen; von dar in ein groß cabinet, alwo die violons seins vor die, so tantzen wollen. Von dar geht man in eine cammer, wo deß königs thron ist. Da findt man allerhandt mussic, concerten undt stimmen. Von dar geht man in die schlaffcammer, alwo 3 taffelen stehen, umb cartten zu spillen, vor den könig, die königin undt Monsieur. Von dar geht man in eine cammer, so man woll einen saal nennen kann, worinen mehr alß 20 tisch stehen mitt grünen sammetten [067] tepichen mitt golten fransen, umb allerhandt spiel zu spiellen. Von dar geht man in eine große antichambre, alwo des königs billiart steht; von dar in eine andre cammer, alwo 4 lange tisch, worauff die colation ist, allerhandt sachen, obstkuchen, confituren. Das sieht eben auß wie die christkinder taffeln ahm christabende. Von dar geht man noch in eine andere Cammer, wo auch 4 andere taffeln stehen so lang alß die von der colation, worauff viel caraffen mitt gläßer stehen undt allerhandt vin de liqueurs, ros[s]olis von allerhandt gattung, vin de St. Laurent, ittaliensche wein, hipocras, auch rechte naturliche wein; also die essen oder trincken wollen, halten sich in dieße zwey letzte kammern. So baldt alß man von der colation kompt, welche man stehns ist[6], geht man wider in die cammer, wo so viel taffeln stehen, undt da theilt sich jedes zu seinem spiel auß, undt wie mancherley spiel da gespilt werden, ist nicht zu begreiffen: landsknecht, trictrack, piquet, reversi, lombre, petitte prime, schach, trictrac, raffle, 3 dés, trou madame, berlan[7], somma sumarum waß man nur erdencken mag von spillen. Wen[n] der könig oder die königin in die cammer kommen, steht niemandt von seinem spiel auff. Die nicht spiellen alß wie ich undt noch viel andere mehr, die schlendern herumb, von einer cammer zu der andern, baldt zu der music baldt zu den spiellen; den[n] es ist erlaubt hinzugehen, wo man will. Dießes wehret von 6 biß umb 10, daß man zum nachtessen geht, undt das ist, waß man jour d’apar tement heist. Wen[n] ich E. L. aber jetzt verzehlen solte, mit waß vor magnificense alle dieße kammern gemeublirt sein und welche eine mengte von silbergeschir drinnen ist, würde ich nimer auffhören. Es ist gewiß, daß es meritirt gesehen zu werden. Dießes alles were woll köstlich schön undt divertissant, wen[n] man auch in dießem apartement ein vergnügtes gemühte mitt sich brächte. Ob ich aber dessen ursach hab oder nicht, wirdt graff Mainart[8] E. L. verzehlen können; den[n] er dessen [068] ein schön eschantillon[9] gesehen in der zeit, so er hier geweßen. Mitt dießen verdrießlichen historien aber will ich E. L. nicht lenger importuniren, denn ich bin persuadirt, daß E. L. auch selber mehr von nöhten haben, daß man sie von waß entretenirt, so distra[h]iren kann, alß ahn die misserie dießer welt zu gemahnen, die E. L., wie ich auß dero letzten werten schreiben sehe, nur gar zu bekant ist[10]. E. L. müßen aber deßwegen keinen so großen mespris vor dero leben undt gesundtheit haben. Ich kan E. L. woll mitt warheit versichern, daß unahngesehen der heüffigen chagrin, so ich täglich entpfunden, ich nichts desto weniger ahn dero gesundtheit undt vergnügen gedacht undt viel vöeux gethan, daß solches so volkommen sein möge, alß ich es von gantzer seelen wünsche. Im überigen so bitte ich E. L., sie fordern Carlgen[11] seinen brieff ab, so ich ihm mitt dießer gelegenheit schreibe; den[n] ich sage darinen, waß mich vom ehestandt deücht; glaube, daß E. L. auch woll meiner meinung sein werden. [Es] felt mir dabey ein passage ein von Alceste[12], so ich glaube all warhafft ist; doch Caroline halben[13] will ich wünschen, daß der autheur sich möge betrogen haben. Aber es laut also:
Je n’ay point de choix à faire,
parlons d’aimer et de plaire
et vivons tousjours en paix!
L’himen détruit la tendresse,
il rend l’amour sans attrais.
Voulles-vous aimer sans cesse,
amants, n’espousses jamais!
Voulles vous aimer sans cesse,
amants, amants, n’espousses jamais!
Alleweil rufft man mir umb mit md. la dauphine[14] in die comedie zu gehen, muß derowegen vor dißmahl schließen, befehle [069] E. L. in den schutz deß allerhögsten undt wünsche E. L. alles waß zu dero volkommenen vergnügen gereichen möge alß
E. L. trewe gantz ergebene Schwester undt Dinnerin
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 6. Dezember 1682 von Elisabeth Charlotte an Kurfürstin Wilhelmine Ernestine
in: Briefe der Herzogin …, Hrsg. H. F. Helmolt, Band 1 (1908), S. 65–69
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d12b0039.html
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