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Versaille den 8 Aprill 1714.
Hertzallerliebe Louisse, ob ich zwar heütte schon 20 bogen
ahn ma tante geschrieben, 3 ahn mein vetter, printz Wilhelm,
welchen brieff Ihr in dießem paquet finden werdet … Dazu seindt
wir heütte noch zimblich lang in der kirch geweßen. Den eintzigen
fehler,
[1] so ich in printz Wilhelms brieff finde, [ist], daß I. L. gar
zu hofflich schreiben undt gar zu große complimenten machen.
Alle frembten machen schir die überschriefft, wie er sie gemacht
hatt, in so sachen bin ich nicht dificulteuse. Ihr habt woll gethan,
es nicht zurückzuschicken, liebe Louisse! Nun bin ich vollig
unterricht, waß meine vettern undt baßen zu Cassel ahngeht, dancke
Eüch davor. Ich bin nun, gott seye danck, in volkommener
gesundtheit. Wie kan es möglich sein, daß ich ma tante kranck
wißen solte undt in ruhen sein? Den ich respectire, liebe undt
ehre unßere liebe churfürstin über alles in der welt, wolte
taußendtmahl lieber selber sterben, alß I. L. endt erwartten.
[2] Fragt
printz Wilhelm, ob er lieber eine teütsche überschriefft hette! so
werde ich ein ander mahl es auff Teütsch machen; aber in Frantzosch
kan ich es ja nicht anderst machen, alß mein protocol es mitt sich
bringt. Gott sey danck, daß ma tante wider woll ist, undt
er
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halte
[3] I. L. lange jahren dabey erhalten! Ich haben den gutten
hertzog Anthon Ulrich gestern undt heütte von hertzen beweint.
[4]
Der gutte herr s. hatt sich meiner in todtbett erinert undt viel
sagen laßen; daß hatt mich so gejammert, daß ich bitterlich
geweindt habe. Ich war dem herrn recht verobligirt, hatt mir alle
freündtschafft erwießen, so ihm immer möglich war, werde ihn alle
mein leben regrettiren. Er hatt ein schön undt christlich endt
geführt. Gott gebe, daß ma tante sich nicht kranck mag machen auß
betrübnuß! Es weiß kein mensch, alß die von secret sein, die
friedenspuncten. Es wirdt gar spat undt ich habe heütte schon
ein 30 bogen geschrieben, kan ohnmöglich vor dießmahl mehr
sagen, alß daß ich Euch von hertzen ambrassire undt lieb behalte.