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Marly den 10 Juni 1714, umb 8 abendts.
Hertzallerliebe Louisse, heütte muß ich Eüch in großer eyll
schreiben, den ich muß noch vor dem eßen ahn mein dochter
schreiben, den morgen werden wir nach Rambouillet. Wir werden
eine braffe hitz außstehen, den es ist greülich warm heütte. Man
hatt mir 2 paletten weniger gelaßen, alß ordinarie, hatt mich doch
sehr abgematt. Ich bin des brauchen
[1] gar wenig gewont, bin
über 20 jahr gewest ohne aderlaß undt mehr, alß 10 jahr, ohne
purgiren. Dißmahl hatt man mich auch purgiren [wollen], ich habe
es aber blat abgeschlagen, befinde mich zu woll dazu undt kan
mich nicht so plagen, wens nicht hoch nohtig ist. Man lebt
nicht [weniger lang], wen man nicht zu viel braucht. Bißher habt
Ihr, liebe Louisse, noch kein ursach, über die dochter
[2] böß zu
[sein]; sie haben [Euch] nicht übel tractirt, sondern wider zu recht
gebracht. Ich muß es gestehen, von großen vergnügen da muß
man hir nicht zehlen, nur zufrieden sein, wen nichts neües schlimmes
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kompt; ich bin Eüch aber, liebe Louisse, sehr verobligirt vor Ewere
gutte wünsche. Ich wünsche Eüch hergegen eine glückseelige reiß
undt daß Ihr mitt gesundtheit undt vergnügen wider kommen
mögen undt ma tante in volkommener gesundtheit wider finden möget.
Wen Ihr jetzt weg werdt, werdet Ihr eine warme reiß haben. Ich
habe heütte undt gestern vors vatterlandt gearbeit;
[3] gott gebe, daß
ich waß guts außrichten! Findt Ihr jemandts im vatterlandt noch
von meiner kundtschafft, so grüst sie freündtlich von meinetwegen!
Ich wolte gern mehr sprechen, aber ich habe nohtwendig noch 3
brieff zu schreiben, ehe wir zu nacht eßen, muß derowegen wider
willen schließen, nur noch sagen, daß ichs auch lieber auff dem
landt, alß in ceremonien zu Franckfort, sein wolte. Ceremonien
undt complimenten undt vissitten seindt mein sach gar nicht.
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Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch
allezeit von hertzen lieb.